NRW-Verband kritisiert wieder eingeführte Zentralprüfung an Gymnasien

Kategorien: PhV in den MedienVeröffentlicht: 24.05.2024

„Erstmals müssen auch Kölner Gymnasiasten wieder die ZP10 ablegen. Während andere Bundesländer zurückrudern, will NRW daran festhalten.
„Kleines Abitur“ haben sie die Prüfungen an den Kölner Gymnasien quasi inoffiziell getauft: Seit Wochen büffeln tausende Kölner Zehntklässlerinnen und Zehntklässler für die Zentralen Prüfungen ZP10. Bezogen auf ganz NRW sind es rund 150.000 Jugendliche, die jeweils in ihrer Schulform teilnehmen müssen, um formal den Mittleren Schulabschluss zu erlangen. Bislang waren die Gymnasien von der Zentralprüfung ZP10 ausgenommen, aber ab diesem Jahr müssen auch die angehenden Abiturienten wieder an dieser zentralen Abschlussprüfung in den Fächern Englisch, Deutsch und Mathe teilnehmen.
An diesem Freitag schwitzen die Zehntklässler in der zentralen Mathe-Prüfung, Deutsch und Englisch sind schon geschafft. Vier Stunden lang werden dann die Inhalte der Sekundarstufe 1 für die jeweilige Schulform abgeprüft – anhand zentraler Klausuren, die vom Schulministerium NRW gestellt werden. Das Verfahren ist ähnlich wie beim Abitur: Die zentralen Klausuren werden an einem festgelegten Tag heruntergeladen und sind streng schematisiert. Außerdem gibt es für jede Klausur eine Co-Korrektur.
Seit etlichen Wochen werden in den Klassen die speziellen Prüfungsformate trainiert. Schülerinnen und Schüler kämpfen sich durch eigens erworbene spezielle Hefte mit Original-Prüfungsaufgaben, ähnlich den Stark-Arbeitsheften wie sie die Abiturienten erwerben.
Beim Philologenverband Nordrhein-Westfalen stoßen die neu ausgestalteten Zentralen Prüfungen auf Kritik. Lediglich 6,5 Prozent der Jugendlichen verlassen das Gymnasium laut dem Verband nach der 10. Klasse. „Warum sollen dann trotzdem alle Schülerinnen und Schüler an den Gymnasien die ZP10 verpflichtend ablegen müssen?“, fragt die Verbandsvorsitzende Sabine Mistler. Die Prüfung bedeute Druck und erheblichen zusätzlichen Aufwand für die Schülerinnen und Schüler sowie massive Mehrarbeit für die Lehrkräfte. Und das in einem System, das ohnehin am Anschlag arbeite. Die Vorbereitungen nähmen im Unterricht in diesem ohnehin sehr kurzen Halbjahr breiten Raum ein. „Dabei haben die Prüfungen und die Vorbereitung darauf wenig mit den regulären Unterrichtsinhalten zu tun“, kritisierte Mistler. In den Vorbereitungswochen könnten dann andere Inhalte des Lehrplans nicht behandelt werden.
Dass es die ZP10 für die Gymnasien überhaupt wieder gibt, hat mit der Umstellung von G8 (Abitur nach zwölf Schuljahren) auf G9 (Abitur nach 13 Jahren) zu tun. Mit der Umstellung auf G8 war die zentrale Prüfung 2005 abgeschafft worden, da die 10. Klasse damit ja als sogenannte EF bei nur zwölf Schuljahren bereits Teil der Oberstufe war. Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) veranlasste dann kurz vor Ende ihrer Amtszeit, dass die zentralen Prüfungen mit der Rückkehr zu G9 wieder eingeführt werden. Jetzt ist der erste G9-Jahrgang am Ende der 10. Klasse angekommen und legt damit erstmals die Prüfung ab.
In einer Umfrage des Philologenverbandes unter Lehrerinnen und Lehrern von Gymnasien, die gerade die Prüfung durchführen, erkannten über die Hälfte keinen Mehrwert durch die ZP10. Mit 19,4 Prozent fanden nur ein Fünftel der Lehrkräfte die Prüfung sinnvoll. Für die Lehrkräfte an Gymnasien bedeutet die ZP10, zeitgleich zu den regulären Abiturklausuren noch die Korrekturen und die Co-Korrekturen der ZP10 zu bewältigen. Gerade für die Lehrkräfte in Mathe, Deutsch und Englisch sei nicht selten die gesamte Fachschaft durch Erst- und Zweitkorrekturen eingebunden. „In unserer Umfrage bewerteten mehr als die Hälfte der Befragten die Mehrbelastung als hoch oder sehr hoch“, so Mistler.
Andere Bundesländer haben auf die Kritik aus den Schulen reagiert: So hat Berlin die Prüfung für den mittleren Schulabschluss an den Gymnasien per Senatsbeschluss in diesem Jahr abgeschafft. Die Begründung: Lehrkräfte sollen entlastet werden, damit sie sich stärker auf ihre pädagogischen Aufgaben konzentrieren könnten. Schülerinnen und Schüler sollen in der Jahrgangsstufe 10 auf diesem Weg mehr Zeit haben, sich vom Stoff her auf die Oberstufe vorzubereiten. In Bayern ging man den Weg, die zentrale Prüfung nach der 10. Klasse zu einem freiwilligen Angebot zu machen.  Schülerinnen und Schüler, die tatsächlich einen Abschluss benötigen, können sich dann entscheiden, die Prüfung abzulegen.
Auch der Philologenverband NRW plädiert für eine freiwillige Zentrale Prüfung an den Gymnasien – etwa wenn nach der Vornote absehbar sei, dass der Mittlere Abschluss gefährdet sei. Alternativ könne sich der Philologenverband auch ein weniger vorbereitungsintensives Verfahren ohne Zweitkorrektur vorstellen, so Mistler. Nur: So wie es jetzt ist, sollte es nicht bleiben.
Das Schulministerium erklärte auf Anfrage, dass es bei der wieder eingeführten ZP10 an den Gymnasien bleibe. Eine Freiwilligkeit vergleichbar mit Bayern stehe für Nordrhein-Westfalen nicht zur Diskussion. Schule und Schulaufsicht erhielten durch die ZP10 eine „wertvolle Rückmeldung über den Leistungsstand der Schülerinnen und Schüler gemessen an landesweiten Standards“, argumentierte das Ministerium.
Auch für die Schülerinnen und Schüler sei die ZP10 sinnvoll und hilfreich. So könnten diese schon mal als Vorbereitung auf das Zentralabitur die kommenden Prüfungssituationen trainieren. Zur Entlastung hätten die Gymnasien schließlich die Möglichkeit bekommen, die Zahl der Klassenarbeiten in Klasse 10 um eine Arbeit zu reduzieren. Außerdem sorge die Prüfung an den Gymnasien im Sinne der Chancengerechtigkeit für eine bessere Vergleichbarkeit des Mittleren Schulabschlusses.

Der gesamte Beitrag ist am Freitag, 24. Mai 2024, im Kölner Stadt Anzeiger erschienen.

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