Zum Zustand der Lehrerfortbildung in NRW
Positionspapier des Philologen-Verbandes NW
Stand: 05.02.2019
In der Kritik:
Kompetenzteams und ihre Angebote
In den vergangenen Jahren ist die Lehrerfortbildung in NRW zunehmend in die Kritik geraten. So wird z.B. auf Personalversammlungen der Lehrerinnen und Lehrer an Gymnasien und Weiterbildungskollegs seit Jahren gefordert, schulformspezifische Fortbildungsangebote mit fachlicher Schwerpunktsetzung auf qualitativ hohem Niveau deutlich zu erweitern. Die durch die sog. „Kompetenzteams“ zur Verfügung gestellten Fortbildungsangebote seien durch ihre ausgewiesene Kompetenz- und Methodenorientierung und durch die schulformübergreifende Organisationsstruktur für die Fachlehrerinnen und Fachlehrer am Gymnasium oft wenig attraktiv.
In der Kritik standen und stehen dabei auch zeitaufwendige Großprojekte wie „Inklusion“ und „Vielfalt-Fördern“, da sie offenkundig an den didaktischen Bedarfen der Schulform vorbeigehen. Zudem überschätzen sie die zeitlichen und personellen Möglichkeiten an Schulen. Die Nachfrage nach diesen mit hohem personellen und zeitlichen Aufwand betriebenen und letztlich auf Schulentwicklungsvorhaben ausgerichteten Projekten ist entsprechend gering.
Fachlehrerinnen und Fachlehrer an Gymnasien sind vor allen Dingen auf fachliche Fortbildung angewiesen, um den hohen inhaltlichen Anforderungen des gymnasialen Bildungsauftrages und ihres Unterrichts gerecht zu werden. Die Fortbildungen in allen Bereichen sollten – so die Forderung der Kolleginnen und Kollegen – von fachwissenschaftlicher Expertise geprägt sein und den Kolleginnen und Kollegen organisatorisch gut zugänglich gemacht werden.
Es wäre zu ergänzen, dass Kolleginnen und Kollegen auch mehr Zeit für Fortbildung – zu der sie dienstlich verpflichtet sind – zur Verfügung gestellt werden muss. Angesichts des zu hohen Deputats und der Arbeitsverdichtung durch Korrekturen, Vor- und Nachbereitung, Konferenzen und Bürokratie bei der gleichzeitigen Vorgabe, dass kein Unterricht entfallen darf, ist eine regelmäßig vorgesehene Fortbildung inzwischen zur Ausnahme im Lehreralltag geworden. Oftmals wird selbst bei dem zu geringem Angebot die Genehmigung zur Teilnahme in der Schulpraxis viel zu restriktiv gehandhabt.
Qualitätsentwicklung:
Neustrukturierung der Lehrerfortbildung
Die Politik scheint die genannten Missstände erkannt zu haben. So soll laut Koalitionsvertrag 2017 der Bildungsauftrag der Gymnasien gestärkt werden. Für „besten Unterricht“ auch am Gymnasium müsse auch die Fortbildung intensiviert werden. Die avisierten Maßnahmen sind einschneidend: Um qualitativ hochwertigen Unterricht für Lehrkräfte zu ermöglichen, müssten lt. Koalitionsvertrag die Instrumente zur Unterstützung der Qualitätsentwicklung weiterentwickelt werden, wobei die Aufgabenstellung des für das Fortbildungswesen in NRW maßgeblichen Landesinstituts für Schule „QUA-LiS“ überprüft werden soll. In diesem Sinne sollte auch eine Evaluierung und Neustrukturierung der Fortbildungen von Lehrerinnen und Lehrern mit dem Ziel der Nachhaltigkeit und Wirksamkeit im Unterrichtsalltag erfolgen.
Der nordrhein-westfälische Philologen-Verband unterstützt die im Koalitionsvertrag angestrebte Stärkung des gymnasialen Bildungsauftrags durch eine Weiterentwicklung des Fortbildungswesens ausdrücklich und zeigt im Weiteren mögliche Handlungsfelder bei dieser dringend notwendigen Neuausrichtung des Fortbildungswesens auf.
Transparente Zielsetzung:
Lehrerfortbildung für Professionalisierung
In erster Linie bedarf es einer Besinnung auf Sinn und Zweck beruflicher Fortbildung im Lehrerbereich. Auch für uns Lehrerinnen und Lehrer ist dabei der Fortbildungsbegriff des Berufsbildungsgesetzes maßgeblich. Fortbildungen dienen demnach vor allen Dingen der Professionalisierung des Einzelnen: „Die berufliche Fortbildung soll es ermöglichen, die berufliche Handlungsfähigkeit zu erhalten und anzupassen oder zu erweitern und beruflich aufzusteigen.“ (BbiG § 1). Für den Lehrerbereich bedeutet dies, dass Lehrerbildung auf bereits erworbenen Fachkenntnissen aufbaut und zum Ziel hat, den erreichten Leistungsstand zu erhalten und auszubauen, um gegebenenfalls auch so Beförderungsperspektiven zu eröffnen.
Diesem auch in der Lehrerschaft vorherrschenden Fortbildungsbegriff werden allerdings diverse im Bereich der Lehrerfortbildung angebotene Maßnahmen (vgl. www.lehrerfortbildung.schulministerium.nrw.de) nicht gerecht. Bei diversen Maßnahmen handelt es sich weniger um Fortbildungen, sondern eher um kollektiv zu betreibende Schulentwicklungsmaßnahmen. Als Beispiel ist hier das an Gymnasien kaum nachgefragte Schulentwicklungsprojekt „Vielfalt fördern“ zu nennen. Die Ablehnung des Projekts durch die gymnasialen Kollegien überrascht nicht: Allzu deutlich zeigt sich hier, dass zwar diverse Innovationen in der Organisation von Schule und Unterricht implementiert werden sollen, kaum aber mehr Professionalisierung im Fachlehrerhandeln in Aussicht steht. Der Dienstherr sollte daher im Sinne fürsorglich geübter Transparenz deutlicher zwischen Fortbildungen im eigentlichen Sinne (s.o.) und kollektiv zu betreibenden Schulentwicklungsmaßnahmen unterscheiden.
Schilf und Schelf:
Rahmenbedingungen für Lehrerfortbildung
Ein Großteil der genannten Probleme resultiert aus der organisatorischen Schwerpunktsetzung auf „schulinternen Lehrerfortbildungen“ – kurz „Schilf“. Dabei erweisen sich über die genannten Schulentwicklungsmaßnahmen hinaus auch fachspezifische „Schilfs“ an unserer Schulform als überaus problematisch: Es gelingt kaum, ganze Fachschaften – namentlich die der großen Hauptfächer – für einen ganzen Tag vom Unterricht frei zu blocken: Der Unterrichtsbetrieb käme an diesem Tag praktisch zum Erliegen – angesichts des politisch ins Auge gefassten Themas „Unterrichtsausfall“ ein für viele Schulleitungen wichtiger Grund, derartige Schilfs wenn möglich zu unterbinden. Kleine Fachschaften werden, falls sie eine sog. Schilf-Fortbildung wünschen, wegen der geringen Teilnehmerzahl von Kompetenzteams in der Regel aufgefordert, sich mit Fachschaften benachbarter Schulen zusammenzutun. Dadurch wird das Zustandekommen einer solchen Fortbildung organisatorisch nochmals erheblich erschwert.
Die Ansiedlung der KTs auf Kreisebene hat sich zudem als unzweckmäßig erwiesen. Parallelstrukturen oder Zwischenebenen führen zur Zersplitterung und fehlender Zielorientierung. Statt dessen sollte sich das Fortbildungswesen an den bewährten und Strukturen der Schulaufsicht und -verwaltung (schulfachliche Aufsicht der Bezirksregierungen) orientieren.
Bedarfsgerechte Lehrerfortbildung:
Individuell, fach- und schulformspezifisch
Fortbildungen sollten der Lehrkraft unabhängig von ihrer Zugehörigkeit zu einer Fachkonferenz oder einem Kollegium zugänglich gemacht werden. Dies entspricht den Prinzipien der individuellen Förderung und des lebenslangen Lernens. Wie die Einsichtnahme in die Angebote einzelner Kompetenzteams zeigt, werden mancherorts tatsächlich gut zugängliche „Schelfs“ angeboten. Allerdings variieren die fach- und schulformbezogenen Angebote je nach Kompetenzteam innerhalb der Teams – aber auch regional – erheblich, wodurch die Chancengleichheit bei der Fortbildung landesweit infrage gestellt wird. Das Fortbildungsangebot sollte wenigstens auf Bezirksregierungsebene für alle Kolleginnen und Kollegen vergleichbar sein. Deshalb sollte sie organisatorisch auch hier angebunden werden.
Fortbildungsangebote sollten sich zudem am individuellen Fortbildungsbedarf der Lehrkraft orientieren. Dabei gehen wir bei der Fortbildung grundsätzlich von Präsenzveranstaltungen aus. Keineswegs darf die Ausrichtung auf individuelle Fortbildungsmöglichkeiten für Kolleginnen und Kollegen als Argument bspw. für die Implementierung individualisierter Online-Formate missverstanden werden. Eine fach- und schulformspezifische Abfrage der Bedarfe sollte auf Bezirksregierungs- oder Landesebene erfolgen. Die daraus erwachsenden Fortbildungen sollten der einzelnen Lehrkraft neue Kenntnisse vermitteln oder vorhandene vertiefen, um noch besser unterrichten zu können. Mit Blick auf die Schulform Gymnasium stehen hier mit Sicherheit fachdidaktische und fachwissenschaftliche Bedarfe im Zentrum des Interesses der Lehrerinnen und Lehrer.
Gymnasiale Lehrerfortbildung:
den Bildungsauftrag stärken
Nach wir vor gelten die Richtlinien für den Unterricht am Gymnasium, wie sie den Lehrplänen vorangestellt wurden. Darin werden Wissenschaftspropädeutik, die Erziehung zu persönlicher Entfaltung und zu sozialer Verantwortlichkeit als verbindliche Erziehungs- und Bildungsaufträge des Gymnasiums genannt. Leider sucht man diese den Bildungsauftrag der Schulform benennenden Begrifflichkeiten in den aktuell vorliegenden Fortbildungsangeboten der Kompetenzteams vergebens. Stattdessen werden bei Planung und Ausschreibung der Fortbildungen i.d.R. lediglich Teilaspekte von Unterrichtsplanung, sog. „Kompetenzen“, genannt.
Fortbildungsangebote für das Gymnasium müssen über die reine Kompetenzorientierung hinaus den Bildungsauftrag aufgreifen und diesen Auftrag bei der Beschreibung der Inhalte der jeweiligen Fortbildung konkretisieren. Dass es sich bei den Moderatoren der Fortbildung um erfahrene Gymnasiallehrkräfte handeln sollte, versteht sich von selbst.
Daher tut die im Koalitionsvertrag verankerte Besinnung auf den gymnasialen Bildungsauftrag in der Tat not. Das gymnasiale Fortbildungsangebot des Landes sollte im Sinne der Richtlinien inhaltlich grundlegend neu ausgerichtet werden.
Neuausrichtung:
Lehrerfortbildung für Bildungsqualität
Im Laufe der vorangegangenen Legislaturperiode kam es im Bereich schulischer Qualitätsentwicklung zum Ausbau und zur Festigung diverser Strukturen, die eng mit den aufgezeigten Problemen im Fortbildungsbereich verknüpft sind. So agiert das Referat 4Q – anders als oftmals behauptet – nicht als neutraler Beobachter, sondern beeinflusst im Vorfeld der QA den Schulbereich – namentlich den der Fortbildung – inzwischen maßgeblich mit. Mit einer inhaltlichen Neuausrichtung des Fortbildungswesens muss zwingend eine Überprüfung der Zielsetzung und Arbeitsweise der Qualitätsanalyse einhergehen.
Zahlreiche Fortbildungen sind inzwischen erkennbar auf die Zielsetzungen der QA zugeschnitten, die sich nicht schulformspezifische Bildungsaufträge, sondern allgemeinpädagogische Kriterien zum Maßstab gewählt hat. Wer den Fortbildungsbereich inhaltlich neu ausrichten will, kommt nicht umhin, die Vereinbarkeit dieser QA mit einem mehrgliedrigen Schulsystem und einem auf die verschiedenen Schulformen sich beziehenden Fortbildungswesen infrage zu stellen.
Angesichts des im Bereich der schulfachlichen Aufsicht gepflegten transparenten und plausiblen Fortbildungsbegriffs (siehe Tabelle unten) und der fachlichen Expertise vor Ort scheint aktuell die schulfachliche Aufsicht der richtige Ort für die Planung und Durchführung dringend erforderlicher Lehrerfortbildung zu sein. Dafür dringend notwendige Ressourcen ließen sich in den bisherigen Kompetenzteams freisetzen, auf Regierungsbezirksebene sinnvoll bündeln und fach- und schulformspezifisch anbinden.