Stellungnahme des Philologen-Verbandes Nordrhein-Westfalen (PhV NW) zu den Kernlehrplänen für die Sekundarstufe I Gymnasium in Nordrhein-Westfalen

Kategorien: Aktuelles, StellungnahmeVeröffentlicht: 05.04.2019

Allgemeiner Teil

Der PhV NW nimmt zu allen bislang veröffentlichten Kernlehrplänen (KLP) jeweils ausführlich Stellung. In einem ersten allgemeinen Teil machen wir zunächst grundsätzliche Anmerkungen zu übergeordneten Aspekten:

  1. Der PhV NW erkennt das Bestreben an, die Spezifika des gymnasialen Bildungsganges hervorzuheben. Sichtbar wird dies in der Betonung der Fachlichkeit und des wissenschaftsorientierten Lernens, sowie der weitgehend gelungenen Verschränkung von Inhalten und Kompetenzen. Insofern sehen wir durchaus viele positive Aspekte in den Kernlehrplanentwürfen. Dennoch lenken wir in unseren Stellungnahmen den Blick auf die notwendigen Änderungen, die trotz des knappen Zeitfensters für die Umsetzung von G9 nicht ignoriert werden dürfen.
  2. Der PhV NW merkt positiv an, dass der Hinweis auf die Richtlinien (von 1993) im Teil Vorbemerkung erfolgt ist. Dazu müssten diese noch geltenden Richtlinien allen KLP vorangestellt und ihre Kompatibilität mit den Aufgaben und Zielen der Fächer bedacht werden.
  3. Der PhV NW spricht sich vehement gegen die in den Lehrplänen Biologie, Physik und Chemie genannte generelle und ausgeweitete Möglichkeit aus, ein integriertes Fach Naturwissenschaft in der Erprobungsstufe einzurichten. Dies widerspräche dem Prinzip der Fachlichkeit im gymnasialen Bildungsgang.
  4. Der PhV NW stellt fest, dass ein Hinweis zur Konkretisierung der in einigen Lehrplänen verwendeten Bezeichnung „Stufe 1“ und „Stufe 2“ dahingehend hilfreich wäre, auf welchen Zeitraum sich die jeweiligen Stufen genau beziehen. Des Weiteren gibt es Fächer, in denen für die Jahrgänge 7- 10 keinerlei Stufigkeit vorgesehen ist, welche aber zur konkreten Zuordnung der Kompetenzerwartungen auch im Sinne der Vergleichbarkeit sinnvoll wäre.
  5. Der PhV NW gibt zu bedenken, dass im Kapitel 3 (Lernerfolgsüberprüfung und Leistungsbewertung) die Anforderungen an die Beurteilung von Leistungen im Hinblick auf Diagnose und individuelle Förderung zu hoch angesetzt sind. So wurde die bisherige Formulierung in den KLP durch die Einfügung „grundsätzlich“ verschärft („Die Beurteilung von Leistungen soll ebenfalls grundsätzlich mit der Diagnose des erreichten Lernstandes und Hinweisen zum individuellen Lernfortschritt verknüpft sein“). Auch die weiteren Ausführungen stellen eine Erweiterung der bisherigen Anforderungen an die Leistungsbewertung dar: „Die Leistungsbewertung ist so anzulegen, dass … die Korrekturen sowie die Kommentierungen den Lernenden auch Erkenntnisse über die individuelle Lernentwicklung ermöglichen. Dazu gehören – neben der Etablierung eines angemessenen Umgangs mit eigenen Stärken, Entwicklungsnotwendigkeiten und Fehlern – insbesondere auch Hinweise zu individuell erfolgversprechenden allgemeinen und fachmethodischen Lernstrategien.“ Der Umfang der Rückmeldungen an die Schülerinnen und Schüler im Rahmen der individuellen Förderung (im Sinne von SchulG §§ 1 und 44 und APO-SI § 6) sollte auf ein leistbares Maß begrenzt bleiben.
  6. Der PhV NW hält einen weiteren Passus im Kapitel 3 für problematisch: „Ein isoliertes, lediglich auf Reproduktion angelegtes Abfragen einzelner Daten und Sachverhalte allein kann dabei den zuvor formulierten Ansprüchen an die Leistungsfeststellung nicht gerecht werden.“ Die Reproduktion von Daten und Sachverhalten kann durchaus im Sinne der Schülerinnen und Schüler eine Möglichkeit sein, im Anforderungsbereich I Leistungen zu erbringen, die dann für weitere, komplexe Aufgaben genutzt werden können. Wir schlagen daher vor, dass klar formuliert wird, dass schriftliche Übungen zur Reproduktion (z.B. Vokabeltests) durchaus noch sinnvoll und zulässig sind.
  7. Das Gymnasium hat gemäß § 16 Abs. 1 SchulG den Auftrag der vertieften allgemeinen Bildung. In diesem Sinne weist der PhV NW darauf hin, dass in einer Reihe von Fächern (vgl. die detaillierten Stellungnahmen) der Umfang der Gegenstände und Kompetenzerwartungen deutlich zugenommen hat – und das, obwohl in einigen dieser Fächer in G9 nicht mehr Stunden zur Verfügung stehen als in G8 -, so dass die Vertiefung der Inhalte unter dieser Stofffülle leidet. Auch stehen kaum noch Freiräume für die Gestaltung nach den Interessen der Schülerinnen und Schüler zur Verfügung. Hier sind deutliche Korrekturen in einzelnen Fächern notwendig (z.B. im Fach Biologie).
  8. Der PhV NW fordert die Einhaltung von gymnasialen Standards und verbindlichen Vorgaben (besonders im Bereich der Leistungsbewertung), damit die Vergleichbarkeit der Leistungen der Schülerinnen und Schüler gegeben ist und die Lehrkräfte rechtssicher handeln können. Bedenken gibt es hier vor allem beim Entwurf des KLP Latein und in abgeschwächter Form auch in dem des Faches Spanisch. Für das Fach Latein ist eine vollständige Überarbeitung des KLP-Entwurfs notwendig, für das Fach Spanisch eine teilweise Überarbeitung. Insbesondere ist darauf zu achten, dass für die noch ausstehenden Lehrpläne zu den weiteren Fremdsprachen im WPII- Bereich die gymnasialen Standards eingehalten werden.
  9. Der PhV NW empfiehlt, dass möglichst bald auch die Entwürfe für die noch fehlenden Kernlehrpläne in den Fremdsprachen des WPII-Bereichs vorgelegt werden. Außerdem sollten auch schulformbezogene Kernlehrpläne für das Gymnasium für die Fächer Praktische Philosophie, Alevitische Religionslehre, islamischer Religionsunterricht, jüdische Religionslehre, orthodoxe Religionslehre und syrisch-orthodoxe Religionslehre erstellt werden.
  10. Der PhV NW begrüßt, dass vom Ministerium eine nach Fächern geordnete Übersicht über die Integration der Ziele des Medienkompetenzrahmens NRW in die einzelnen Kernlehrpläne zur Verfügung gestellt wurde. Diese gibt den Lehrkräften eine Orientierung, auf welche Kompetenzen des MKR sich bestimmte Kompetenzerwartungen in den KLP beziehen. Sie bildet auch eine gute Grundlage für die Erstellung der schuleigenen Lehrpläne. Nach unserer Kenntnis sind allerdings nicht alle Kompetenzen des MKR in die Kernlehrpläne integriert worden. Grundsätzlich sollte man im Blick behalten, dass auch Problemfelder wie z.B. Big Data und Künstliche Intelligenz, die im MKR nur unzureichend berücksichtigt sind, Eingang in den Unterricht finden. Die Integration der Ziele des MKR in die KLP ist grundsätzlich zu begrüßen und in der Umsetzung gelungen. Einzelne Fächer (z.B. das Fach Deutsch) sind jedoch zu stark mit den Kompetenzerwartungen in diesem Bereich überfrachtet worden. In anderen Fächern ist die Passung nicht immer gegeben (z.B. im Fach Musik). Zu berücksichtigen ist auch, dass die Gymnasien zurzeit noch eine sehr unterschiedliche Ausstattung im Bereich der digitalen Infrastruktur besitzen und daher evtl. noch nicht alle Medienkompetenzen umsetzen können.
  11. Der PhV NW bedauert, dass bislang keine Übersicht zur Integration der Rahmenvorgabe Verbraucherbildung in Schule (2017) in die Kernlehrplanentwürfe der einzelnen Fächer vorliegt. Diese hätte die Rückmeldung im Rahmen der Verbändebeteiligung erheblich erleichtert. Zum Teil ist unklar, ob sich entsprechende Kompetenzerwartungen von den Zielen des Medienkompetenzrahmens oder von den Zielen der Verbraucherbildung herleiten. Eine dominante Integration der Rahmenvorgabe Verbraucherbildung in die Kernlehrpläne lehnen wir ab.
  12. Der PhV NW regt an, dass im allgemeinen Teil der KLP auf die Notwendigkeit der Beherrschung einer lesbaren (!) Handschrift und einer lesergerechten Gestaltung handschriftlich angefertigter Texte (bes. in Klassenarbeiten) hingewiesen wird. Wir verweisen hier auf die in den Bildungsstandards der KMK für den Mittleren Schulabschluss genannten Vorgaben (dort S. 11).