Stellungnahme des PhV NRW zum Kernlehrplan Biologie

Kategorien: Aktuelles, StellungnahmeVeröffentlicht: 16.02.2022

STELLUNGNAHME

des Philologenverbandes Nordrhein-Westfalen
(PhV NRW)

zum Kernlehrplan Biologie

für die Sekundarstufe II
Gymnasium in Nordrhein-Westfalen

(Durchführung der Verbändebeteiligung
gem. § 77 Abs. 3 SchulG)

I. Allgemeiner Teil

Der PhV NRW nimmt im Rahmen der Verbändebeteiligung zu den Entwürfen der Kernlehrplänen (KLP) für die Sekundarstufe II Gymnasium in NRW in den Fächern Biologie, Chemie und Physik jeweils ausführlich Stellung. In einem ersten allgemeinen Teil machen wir zunächst grundsätzliche Anmerkungen zu übergeordneten Aspekten:

  1. Der PhV NRW erkennt das Bestreben an, die Spezifika des gymnasialen Bildungsganges hervorzuheben. Sichtbar wird dies in der Betonung der Fachlichkeit und des wissenschaftsorientierten Lernens, sowie der weitgehend gelungenen Verschränkung von Inhalten und Kompetenzen. Die Integration der Basiskonzepte, die nun prüfungsrelevant sind, in die Struktur von Zielen des Faches/übergreifender fachlicher Kompetenz, Kompetenzbereichen, Inhaltsfeldern und Kompetenzerwartungen erscheint uns sinnvoll. Insofern sehen wir viele positive Aspekte in den Kernlehrplanentwürfen. Dennoch lenken wir in unseren Stellungnahmen den Blick auf die notwendigen Änderungen, die trotz des knappen Zeitfensters bis zum Inkrafttreten am 01. August 2022, nicht ignoriert werden dürfen.
  2. Die Grundentscheidung der Kultusministerkonferenz, dass ab dem Abitur 2025 für die Fächer Biologie, Chemie und Physik 50% der Abituraufgaben aus dem Aufgabenpool des IQB entnommen werden müssen, hat zur Folge, dass bereits der jetzige Jahrgang 9, der sich als letzter Jahrgang noch in G8 befindet, ab dem nächsten Schuljahr bereits nach den neuen (G9-) Kernlehrplänen der Oberstufe unterrichtet werden soll. Diese Entscheidung wirft für NRW zwei Probleme auf: Erstens ist die Anschlussfähigkeit von der Sekundarstufe I zur Oberstufe nicht vollständig gegeben. Den Schülerinnen und Schülern fehlen teilweise bestimmte Kompetenzen für die erfolgreiche Mitarbeit in der Oberstufe. Zweitens bleibt in dem knappen Zeitraum bis zu den Sommerferien kaum noch Zeit für notwendige Vorarbeiten. So müssen noch Implementationen der neuen Lehrpläne durchgeführt und Materialien, wie z.B. die Vorlagen für die schulinternen Lehrpläne, rechtzeitig bereitgestellt werden.
  3. Die Kultusministerkonferenz hat mit Beschluss vom 18.06.2020 Bildungsstandards für die Allgemeine Hochschulreife in den Fächern Biologie, Chemie und Physik verabschiedet. Sie hat ferner vorgesehen, für die Umsetzung der Bildungsstandards in die Lehr- und Bildungspläne der Länder Eckpunkte für curriculare Vorgaben zu entwickeln. Dieses Eckpunktepapier liegt vor. Ziele sind Qualitätssicherung, Überprüfbarkeit und Vergleichbarkeit. Das unterstützen wir ausdrücklich. Allerdings dürfen diese verbindlichen Vorgaben der Bildungsstandards nicht zu einer inhaltlichen Überfrachtung der Kernlehrpläne führen. Der vorgegebene Freiraum von 25% muss erhalten bleiben, damit weiterhin im Sinne des gymnasialen Bildungsauftrags einer vertieften allgemeinen Bildung gearbeitet werden kann. Im Fach Biologie ist dieser Freiraum durch die Fülle an Inhalten und Kompetenzerwartungen durchgängig nicht mehr gegeben. Im Fach Chemie entsteht dieses Problem im Leistungskursbereich. Besonders im Fach Biologie ist eine übergeordnete Lösung notwendig, welche auch den unterschiedlichen Voraussetzungen der Bundesländer Rechnung trägt. Um die Bildungsstandards einhalten zu können, müssen in den verschiedenen Bundesländern auch vergleichbare Rahmenbedingungen, insbesondere in Bezug auf die Stundentafel, gegeben sein. Es kommt hinzu, dass für NRW noch nicht klar ist, wie die APO-GOSt geändert werden wird und unter welchen Rahmenbedingungen die vorgelegten Entwürfe und die noch folgenden KLP gelten sollen.
  4. Der PhV NRW empfiehlt, die aktuellen Regelungen zur Aufgabenauswahl im Abitur in den Naturwissenschaften Biologie, Chemie und Physik beizubehalten: „Die Schulen erhalten für den Grundkurs und für den Leistungskurs jeweils 3 Aufgaben, aus denen die Fachlehrerin bzw. der Fachlehrer zwei Aufgaben auswählt. Die Schülerinnen und Schüler bearbeiten die beiden ihnen dann vorgelegten Aufgaben.“ (Vorgaben Zentralabitur 2022, S. 2). Es sollte also auch zukünftig keine verbindlich festgelegte Aufgabe geben. Wir begründen unsere Empfehlung folgendermaßen: Die Schülerinnen und Schüler haben aufgrund der komplexen Abituraufgaben in den Naturwissenschaften wie bisher auch keine Aufgabenauswahl. Die ursprünglich vorgesehene eingeschränkte Aufgabenauswahl durch die Lehrkraft wäre im Vergleich zu anderen Fächern ungerecht. In der aktuellen Regelung wird den Lehrkräften und den Schülerinnen und Schülern ein gewisser Spielraum eröffnet, um Ausfälle und auch die höhere Stofffülle kompensieren zu können. Die Aufgaben sollten sich dann auch trennschärfer auf bestimmte Themengebiete beziehen und weniger inhaltsfeldübergreifend gestaltet sein.

II. Fachbezogener Teil: Biologie

Der PhV NRW nimmt im Folgenden detailliert Stellung zum Kernlehrplanentwurf für das Fach Biologie. Nach allgemeinen Anmerkungen gehen wir auf die einzelnen Kapitel des Kernlehrplans näher ein.

1. Allgemeines

Der vorliegende Lehrplanentwurf für das Fach Biologie in der SEK II baut auf dem neuen SEK I Kernlehrplan für die G9-Jahrgänge auf und kann somit nicht losgelöst von diesem betrachtet werden. Er trägt die Folgen weiter. Die zeitlichen Probleme, die sich durch die an den meisten Schulen erfolgte Kürzung der Stundenzahl in der SEK I in Kombination mit einer Fülle an zu vermittelnden Inhalten und Kompetenzen ergeben haben, lassen erwarten, dass an vielen Schulen nicht umfassend auf die Sekundarstufe II vorbereitet werden kann. Dies macht in erhöhtem Maße Wiederholungen, Sicherungen oder ggf. auch Neuvermittlungen notwendig, für die im vorliegenden Lehrplan keine zeitlichen Ressourcen vorgesehen sind.

Mit der Stoffwechselphysiologie wird ein weiteres Inhaltsfeld mit hohen fachlichen Ansprüchen in die Qualifikationsphase gesetzt. Inhaltsfelder sollen nicht Halbjahren entsprechen, dennoch bleibt es bei einer Beschränkung auf vier Felder in der Qualifikationsphase, indem Genetik und Evolution organisatorisch zusammengefasst werden. Trotzdem sind nun fünf große Fachgebiete in der Qualifikationsphase zu vermitteln.

Deutlich wird ein starker Einfluss der Bildungsstandards der KMK: sowohl in der Übernahme des Inhaltsfeldes Stoffwechselphysiologie in die Qualifikationsphase, sodass nun der Pool für Abituraufgaben vollständig genutzt werden kann, als auch in den Inhalten der Inhaltsfeldern für Grund- und Leistungskurs oder den verschiedenen Kompetenzen, die denen im Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 18.06.2020 aufgelisteten entsprechen. Eine notwendige Reduktion der unrealistischen Stofffülle ist aber nur möglich, wenn diese Vorgaben zumindest teilweise außer Acht gelassen werden.

2. Aufgaben und Ziele des Faches

In der Darlegung der Aufgaben und Ziele des Faches Biologie wird erneut die Bandbreite der Anforderungen deutlich. Neben naturwissenschaftlichen Aspekten wie z.B. einer angemessenen Fachsprache oder fachspezifischer Arbeitsweisen sollen emotionale Zugänge z.B. über Originalbegegnungen mit der Natur ebenso vermittelt werden wie die Relevanz biologischer Erkenntnisse für die Lebenserhaltung und Lebensführung, Grundlagen für fundierte Urteile in Entscheidungsprozessen, und Jungen und Mädchen bzw. Männer wie Frauen sollen gleichermaßen angesprochen werden. Insbesondere Bewertungen oder Reflexionen können im Sinne einer vertieften Allgemeinbildung aber erst auf der Basis eines fundierten Wissens erfolgen, sind also der Abschluss einer Reihe und erfordern somit umfassende Vorbereitung und ausreichend Zeit. Angesichts der Fülle des Lehrplans, der Folgen aus der Sekundarstufe I und des tatsächlichen Stundenvolumens im Schulalltag erscheint es fragwürdig, dass dies gegeben ist. Von Freiräumen, z.B. für Vertiefung, schuleigene Projekte oder schuleigene Entwicklungen, im vorliegenden Entwurf ist wenig zu merken.

3. Kompetenzbereiche und Inhaltsfelder

Hier finden sich die größten Unterschiede zum bisherigen Lehrplan: in der Einführungsphase gibt es nur noch ein Inhaltsfeld: die Zellbiologie. Das Inhaltsfeld Stoffwechselphysiologie wird Bestandteil der Qualifikationsphase und Genetik und Evolution werden zu einem Inhaltsfeld zusammengefasst. Zudem ist ein deutlicher Anstieg der zu erreichenden Kompetenzerwartungen im Vergleich zum bisherigen Lehrplan festzustellen: in der Einführungsphase von 19 auf 50, in der Qualifikationsphase von 19 auf 51.

Einführungsphase

Das einzige Inhaltsfeld in der Einführungsphase ist die Zellbiologie. Es beinhaltet nun allerdings Aspekte, die vorher im Rahmen von Genetik oder Stoffwechselphysiologie behandelt wurden, wie z.B. Meiose, die Analyse von Erbgängen (die ein zweites Mal im Inhaltsfeld Genetik und Evolution gefordert wird) oder die Kinetik und Regulation von Enzymen. Etwas überraschend erscheint in diesem Kontext die Bewertungskompetenz „diskutieren kontroverse Positionen zum Einsatz von embryonalen Stammzellen“ (S. 28); da embryonale Stammzellen nicht explizit in den inhaltlichen Schwerpunkten aufgeführt werden, erscheint dies anbindungslos, zudem wäre eine solche Diskussion im Rahmen der Genetik sinnvoller. Inhaltlich sinnvoller wäre es sicherlich, Aspekte wie Genommutationen, Chromosomenmutationen oder auch die Analyse von Erbgängen im Inhaltsfeld Genetik zu verorten. Ohne die Vorgänge bei der Meiose gegenwärtig zu haben, kann man Stammbäume nicht wirklich verstehen. Nach einem Jahr werden Schülerinnen und Schüler diese bereits wieder vergessen haben. Unklar bleibt, in welchem Umfang Anabolismus und Katabolismus zu behandeln ist.

Insgesamt scheint die Auswahl der Inhalte, die unter diesem Inhaltsfeld zusammengefasst sind, zufällig und nicht immer thematisch kohärent zellbiologisch. Es entsteht der Eindruck, dass hier Inhalte, die nicht zwingend in die Qualifikationsphase gebracht werden mussten, aber notwendig sind, verortet wurden.

Qualifikationsphase

Für die Qualifikationsphase selbst sind vier obligatorische Inhaltsfelder vorgesehen; auch wenn dargelegt wird, dass es sich hier nicht um Halbjahresthemen handelt, wird es in der Schulorganisation vermutlich auf diese Anbindung hinauslaufen. Aus der Neustrukturierung ergeben sich mehrere Probleme. Wenn Inhaltsfelder halbjahresübergreifend, vielleicht sogar schuljahresübergreifend unterrichtet werden, kann es bei Wiederholungen Probleme geben. Für das Fach Biologie müssen als Lehrbücher Gesamtbände statt der bisher vielfach üblichen Halbjahresbände angeschafft werden, da ein Buchwechsel zum Halbjahr nicht mehr konsequent umgesetzt werden kann. Zum anderen folgt für mündliche Abiturprüfungen, dass Evolution und Genetik allein nicht mehr Thema einer mündlichen Abiturprüfung sein können, da nach APO-GOST §38 Absatz (3) die mündliche Prüfung sich nicht auf das Sachgebiet eines Kurshalbjahres beschränken darf.

Das Feld Neurobiologie ist im Grundkurs im Vergleich zum letzten Kernlehrplan stark reduziert worden, wahrscheinlich der Tatsache geschuldet, dass für das Inhaltsfeld Stoffwechselphysiologie Raum geschaffen werden musste. Es sind nur noch Basisaspekte vorgesehen, wie in den Bildungsstandards aufgelistet, und auch diese nur in sehr eingeschränkter Form, so entfällt zum Beispiel der gesamte Bereich neuronale Plastizität. Damit fehlen aber in diesem Inhaltsfeld nahezu alle Bausteine, die Schülerinnen und Schüler in die Lage versetzen sollen, sich „begründet Meinungen zu bilden, Entscheidungen auch auf ethischer Grundlage zu treffen und Entscheidungsprozesse und deren Folgen zu reflektieren“ (Bewertungskompetenz, S. 16), es bleibt bei einer reinen Faktenvermittlung ohne den für das Fach Biologie so wesentlichen Lebensbezug, z.B. im Kontext von Erkrankungen des ZNS,  von Sprache und Gehirn oder auch der Frage nach der materiellen Repräsentation von Persönlichkeit und freiem Willen. Es erscheint fast sinnvoller, dieses Inhaltsfeld im Grundkurs nicht zu bearbeiten und so mehr Zeit auf die anderen Inhaltsfelder verwenden zu können.

Im Leistungskurs ist dieses Inhaltsfeld deutlich umfangreicher und somit auch sinnvoll. Zudem steht ein größeres Stundenvolumen zur Verfügung. Trotzdem sollte beachtet werden, dass es an vielen Schulen üblich ist, das relativ kompakte Thema Neurobiologie in das zweite, verkürzte Halbjahr der Qualifikationsphase 2 zu legen. Geht man dann noch davon aus, dass inhaltliche Exkurse notwendig werden, um sicherzustellen, dass auch Schülerinnen und Schüler, die weder Physik noch Chemie in der Oberstufe belegt haben, die zum Verständnis benötigten Grundlagen von Strom/Spannung/Elektronenfluss, und damit die Entstehung von Potenzialen, besitzen, werden auch hier keine Freiräume erkennbar.

Die Inhaltspunkte des Inhaltsfeldes Stoffwechselphysiologie hingegen sind auch für den Grundkurs umfassend. Erfreulich ist die Verortung des Themenkomplexes Photosynthese hier und nicht mehr im Bereich Ökologie wie im letzten Kernlehrplan. In diesem Inhaltsfeld erscheinen die Unterschiede zwischen Grund- und Leistungskurs deutlich geringer als im Feld Neurobiologie. Dies erscheint sinnvoll, da die Inhalte dieses Feldes benötigt werden, um die Vorgänge in anderen Teilbereichen verstehen zu können, es sind Grundlagen der Biologie, die für beide Kursarten benötigt werden. Zu bedenken bleibt, dass – obwohl der inhaltliche Umfang auf den ersten Blick machbar scheint – für die Vermittlung der Inhalte auf chemisches und auch physikalisches Wissen zurückgegriffen werden muss, welches bei vielen Schülerinnen und Schülern nicht präsent ist. Daher werden erfahrungsgemäß Exkurse notwendig, wenn das Ziel Verständnis ist und nicht nur Akzeptanz oder Auswendiglernen, um z.B. Redoxreaktionen, Konzentration, Absorption oder auch Licht als Energieträger und Welle allen Schülerinnen und Schülern verständlich zu machen. Hierfür reicht im Grundkurs das Stundenvolumen nicht aus. 

Die zu diesem Inhaltsfeld zugehörigen Bewertungskompetenzen werfen Fragen auf. Die erste Bewertungskompetenz beinhaltet Aspekte, die weit über Stoffwechselphysiologie hinausgehen, wie z.B. Biotechnologie, und ist sehr ambitioniert. Die zweite Bewertungskompetenz erscheint wenig sinnvoll. Da weder der Fett- noch der Proteinstoffwechsel thematisiert werden und auch Vitamine und Mineralien kein Gegenstand des Inhaltsfeldes sind, können hier fachlich sinnvoll nur Nahrungsergänzungsmittel zum Kohlenstoffhaushalt behandelt werden.

Im Inhaltsfeld Ökologie finden sich im Grundkurs- und Leistungsbereich wenig Neuerungen, auch die Unterscheidungen zwischen den beiden Kurstypen erscheinen angemessen. Im Gegensatz zu den anderen Inhaltsfeldern ist das inhaltliche Volumen hier angemessen.

Sehr problematisch erscheint das neugeschaffene Inhaltsfeld Genetik und Evolution. Durch die Zusammenlegung fallen manche Aspekte weg, es erfolgt eine Zuspitzung des Themas auf die Schnittmenge der Inhalte und eine Auslagerung genetischer Inhalte in die Sekundarstufe I bzw. die Einführungsphase.

Für den Grundkurs entfällt der Themenkomplex Humanevolution vollständig, das Themengebiet Gentechnik wird nur angerissen. Der Versuch, das Themenfeld Genetik durch ein Verankern von Einzelaspekten wie Mendel (SEK I) und Mitose/Meiose/Mutation (Einführungsphase) in anderen Jahrgangsstufen vorzuentlasten, erscheint wenig hilfreich. Zum einen kommt es zu Dopplungen (Erbgänge sind sowohl in der Einführungsphase als auch in der Qualifikationsphase ein Thema), zum anderen zu einem Zeitverlust durch Wiederholungen, wenn Schülerinnen und Schülern wichtige Aspekte aus vorangegangenen Jahren nicht mehr präsent genug sind, um direkt mit Anwendungen, Fortführungen oder Vertiefungen zu arbeiten. Hinzu kommt, dass die Anzahl der aufgeführten Inhaltspunkte sehr groß ist, der inhaltliche Anspruch zum Teil sehr hoch (z.B. Modifikation des Epigenoms durch DNA-Methylierung im Grundkurs, S. 41). Anhand der zugeordneten Bewertungskompetenz „bewerten Nutzen und Risiken einer Gentherapie beim Menschen (S1, K14, B3, B7-9, B11) “ (S. 42) kann der Zeitaufwand exemplarisch dargestellt werden. Gefordert ist hier eine auf Fachwissen basierende, kriteriengeleitete Meinungsbildung und Reflexion einer ethisch anspruchsvollen Thematik. Fachlich werden hierzu Kenntnisse über Grundlagen der Gentechnik, über Fortschritte auf diesem Gebiet (z.B. CrisprCas) oder auch Methoden (wie z.B. PCR oder DNA-Sequenzierung) benötigt. Diese fehlen allerdings in diesem Inhaltsfeld. Abgesehen von der Methodik gentherapeutischer Verfahren muss hier Information zur Rechtslage, zur Situation Betroffener, zu Risiken und Möglichkeiten einer solchen Behandlung vermittelt werden und ein Meinungsbildungsprozess begleitet werden. Diese nicht originär biologischen Aspekte werden im Inhaltsfeld nicht benannt, beim Stundenvolumen nicht berücksichtigt.  Soll dieser Prozess in einem angemessenen zeitlichen Rahmen erfolgen, sind Kürzungen an anderer Stelle notwendig, zum Beispiel beim Themenkomplex Genregulation, den man ggf. ganz entfallen lassen müsste.

Im Leistungskurs kommen drei weitere umfangreiche Themengebiete dazu, Krebs, Sozialverhalten von Primaten und Evolution des Menschen inklusive dazu gehöriger Kompetenzen. Hier sind auch explizit fachliche Verfahren benannt. Damit ist auch im Leistungskurs davon auszugehen, dass das vorhandene Stundenvolumen zu knapp ist. Kürzungen wären auch hier vorstellbar im Themenkomplex Genregulation (z.B. Wegfall der Histonmodifikation oder RNA-Interferenz) oder im Komplex Krebs (personalisierte Medizin). Weitere Kürzungsmöglichkeiten finden sich im Bereich Evolution, so könnte entweder der Themenkomplex „Sozialverhalten bei Primaten“ oder einzelne Aspekte im Themenkomplex „Evolution des Menschen und kulturelle Evolution“ entfallen, wie Werkzeuggebrauch oder Sprachentwicklung (zumal Sprache nicht Thema des Inhaltsfeldes Neurobiologie ist).

Insgesamt erscheint das Themenfeld trotz der Reduktion sehr umfangreich, insbesondere im Vergleich mit dem Themenfeld Neurobiologie. Berücksichtigt man dann noch den im regulären Schulalltag auftretenden Ausfall von Stunden, ist davon auszugehen, dass bei einer angemessenen Behandlung der aufgeführten Themen mehr als ein Halbjahr benötigt wird.

4. Fazit

Das Inhaltsfeld Zellbiologie enthält viele Aspekte, die nicht originär Teil der Zellbiologie sind, es ist wenig kohärent.  In der Qualifikationsphase sind die Inhaltsfelder Stoffwechselphysiologie und Genetik und Evolution sowohl in Qualität als auch in Quantität als äußerst anspruchsvoll zu bewerten. Einzelne Sachentscheidungen und Zuordnungen werfen Fragen auf.

Das grundlegende Problem ist aber eine inhaltliche Überfrachtung für das vorgegebene Stundenvolumen. Dieses wird noch verstärkt durch die gleiche Problematik in der Sekundarstufe I mit den sich daraus für die Sekundarstufe II ergebenden Folgen. Insbesondere wenn das Ziel des Biologisunterrichtes eine Vermittlung der aufgelisteten Kompetenzen in angemessener Form sein soll, mit genug Freiräumen für individuelle Interessen, Stärken und Schwächen der Schülerinnen und Schüler, für das aktuelle Geschehen oder auch auf Fachwissen basierte Wertefindung, dann ist eine Reduktion der Inhalte und Kompetenzen zwingend notwendig. Wenn das Ziel eine durchgängige Orientierung an den BISTA-Standards sein soll, ist eine solche Reduktion nicht möglich.

Düsseldorf, den 09. Februar 2022

gez. Sabine Mistler
– Vorsitzende –