Rede von Sabine Mistler anlässlich des Gymnasialtags 2022

Kategorien: AllgemeinVeröffentlicht: 01.04.2022

An dieser Stelle dokumentieren wir die Rede von Sabine Mistler, Vorsitzende des nordrhein-westfälischen Philologenverbandes, zum Gymnasialtag 2022 am Samstag, 26. März 2022.

Wir konnten heute zum Gymnasialtag 2022 Zeugen eines interessanten Austausches sein, der sowohl facetten- als auch in vielfacher Weise aufschlussreich war.

Es ist zum Gymnasialtag 2022 deutlich geworden, wie wir die Haltungen und Forderungen des Deutschen Philologenverbandes auch auf Nordrhein-Westfalen herunterbrechen können, und dies zeigt uns, wie wichtig das Zusammenspiel unseres Bundesverbandes mit der Landesebene ist.

Der Vortrag unsere Schul- und Bildungsministerin Yvonne Gebauer zum Gymnasialtag 2022 mit anschließender Diskussion hat uns aufgezeigt, wie sich das Ministerium zu unserem Dreiklang Bildung – Abitur – Zukunft positioniert. Es ist sichtbar geworden, wo MSB und PhV-NRW Gemeinsamkeiten, aber auch, wo wir unterschiedliche Haltungen und Wahrnehmungen haben.

Landtagswahlen in NRW – sie sind sehr wichtig für unser Land und auch für die Schulpolitik. Man erinnert sich noch sehr gut, dass die letzten Landtagswahlen vornehmlich durch die Bildungspolitik entschieden wurden. Es wird spannend sein zu sehen, wie es dieses Mal sein wird.

Es war während der Diskussion der schulpolitischen Sprecherinnen und Sprecher auch interessant zu hören, wie sich die Vorstellungen der einzelnen Parteien an einigen Stellen gleichen. Noch wichtiger war es sicherlich, wahrgenommen zu haben, wo genau sie sich unterscheiden.

Eines sollten wir allerdings nicht vergessen: Natürlich sind Wahlprogramme und Wahlauftritte in der Regel allgemeine Versprechens- und Haltungsbekundungen, und sie sind jeweils eine Sammlung aus Absichtserklärungen. Mehr Geld, mehr Stellen, mehr Chancengleichheit, mehr Bildungsgerechtigkeit, einfach mehr, mehr, mehr.

Wichtig für uns ist, was wir zwischen den Zeilen lesen. Wenn zum Beispiel bei auslaufendem Schulfrieden keine der Parteien eine Schulstruktur-Debatte aufnehmen möchte, so kann das natürlich auch bedeuten, dass man dies gar nicht mehr für nötig befindet. Da man einerseits keine Gefährdung sieht oder anderseits die innere Aushöhlung bereits so weit fortgeschritten ist, dass man es überhaupt nicht mehr für nö-tig erachtet, hier im Besonderen noch ein Augenmerk auf einzelne Schulformen zu lenken.

Gymnasien sind doch sehr attraktiv. Wir haben hohe Übergangsquoten. Also geht es doch nicht um den Fortbestand [unserer Schulform], das wohl nicht. Aber uns geht es um die Qualität der gymnasialen Bildung und damit um bildungspolitische Weichenstellungen. Das gilt für alle wichtigen Bereiche, wie Digitalisierung und Unterrichtsentwicklung, Lehrerausbildung, Fortbildungsformate, die Zukunft der Schulaufsicht u.v.m.

Bildung – Abitur – Zukunft. Wir als Philologen wollen alles drei nicht nur sichern, sondern aktiv mitgestalten. Hier nun die Positionen des PhV-NRW zu schul- und bildungspolitischen Grundsatzfragen:

Zur Qualität gymnasialer Bildung:

  • Der Erhalt des gymnasialen Bildungsauftrags ist unumstößlich – das Ziel ist die tatsächliche Studierfähigkeit
  • Die Qualität gymnasialer Bildung darf nicht auf statistisch messbare Kompetenzen und ökonomisch verwertbare Inhalte reduziert werden.
  •  Vermeintliche Querschnittsaufgaben wie Digitalisierung, Fortbildungen, Inklusion, Integration und Projekte wie KAoA [Kein Abschluss ohne Anschluss] müssen immer auch schulformspezifisch in den Blick genommen.

Zur Zukunft des Gymnasiums:

  • Der PhV steht für eine gymnasiale Bildung, die auf eine vertiefte und zeitgemäße Allgemeinbildung abzielt.
  • Das vielgliedrige Schulsystem muss erhalten bleiben, damit unsere Schülerinnen und Schüler gemäß ihren Fähigkeiten, Neigungen und Begabungen gefördert werden können. Der PhV NRW lehnt eine „Schule für alle“ ab.
  • Die qualitative Vergleichbarkeit des Abiturs muss über alle Schulformen erhalten und gestärkt werden.
  • Verbindliche Grundschulgutachten wären aus unserer Sicht eine wichtige Grundlage auf dem Weg in Richtung einer begabungsgerechteren Bildung gewesen.

Zum gemeinsamen Lernen:

  • Gymnasien haben gemeinsames Lernen nie abgelehnt, sondern schon immer erfolgreich umgesetzt.
  • Das Bekenntnis zur zielgleichen Inklusion, wie die jetzige [schwarz-gelbe] Koalition es getan hat, ist uns sehr wichtig – wir stehen für eine Inklusion, die allen Lernenden gerecht wird, sie muss zum Wohle aller Schülerinnen und Schüler entsprechend ihrer Neigungen und Fähigkeiten eingesetzt werden.
  • Dafür benötigen die Gesamtschulen endlich eine bessere personelle und sachliche Ausstattung, da sie vornehmlich mit der zieldifferenten Inklusion betraut sind.
  • Es muss eine echte Wahlfreiheit der Eltern geben – daher müssen auch wieder Förderschulen neu entstehen können.

Zur Nachwuchsgewinnung und Professionalisierung:

  • Wir brauchen zur Nachwuchsgewinnung ein flächendeckendes und attraktives An-gebot für Lehramtsstudierende, v.a. in den Mintfächern.
  • Die Fachlichkeit muss im Studium weiter gestärkt werden.
  • In der Lehrerausbildung muss Zeit für Ausbildung sein. Wir fordern deshalb eine Verlängerung des Referendariats auf 24 Monate sowie eine Verringerung des Selbst-ständigen Unterrichts.

Zur Fortbildung in der aktiven Berufsphase:

  • Lehrkräfte brauchen leicht zugängliche staatliche Fortbildungen (räumlich, zeitlich und schulorganisatorisch).
  • Für Lehrerinnen und Lehrer werden ausreichend professionelle, angemessene und schulformbezogene Fachfortbildungen benötigt.

Zur Digitalisierung allgemein:

  • Die digitale Infrastruktur muss flächendeckend klar definierten Standards entsprechen.
  • Wir fordern zeitgemäße Dienstvereinbarungen zu Datenschutz und Arbeitszeit (vgl. Datenschutzvereinbarung Logineo NRW).
  • Schulen benötigen externe Unterstützung beim IT-Support.
  • Es darf keine digitalen Leistungskontrollen von Lehrkräften geben.
  • Es muss angemessene Entlastungen für die Administratoren geben.

Zur Digitalstrategie Schule NRW:

Für den PhV NRW stehen tiefgreifende Veränderungen im Raum, die fundamentale Fragen des Bildungsbegriffs und der Lernkultur berühren. Man bedient sich in diesem Zusammenhang des ideologisch aufgeladenen Begriffs der „digitalen Transformation“.

Selbstverständlich sehen wir große Chancen und Möglichkeiten durch die Digitalisierung für unsere pädagogische Arbeit, aber es müssen vorab wichtige Fragen geklärt werden, wie beispielsweise:

  • Welche Bedeutung kommt künftig der Allgemeinbildung zu, wenn digitale Kompetenzen zunehmend in den Vordergrund treten?
  • Welches Wissen muss weiterhin vermittelt werden?
  • Wie können Schülerinnen und Schüler vor digitaler Reizüberflutung geschützt werden?
  • Werden wir künftig noch verschiedene Schulformen benötigen, oder wird die mithilfe digitaler Technik umgesetzte Differenzierung und Individualisierung von Lernprozessen in der Einheitsschule enden?

Da wir als Lehrerverband nicht nur bildungspolitische Belange verfolgen und diese unweigerlich auch mit berufspolitischen Fragestellungen und Forderungen verbunden sind, möchte ich mit Folgendem schließen, dass wir all diese Herausforderungen nicht bewältigen können, wenn nicht endlich erkannt wird, dass „weltbeste Bildung“ (Zitat Ministerin Gebauer) nicht erreicht werden kann, wenn wir unsere Lehrerinnen und Lehrer nicht ernst nehmen und die klaren Zeichen der Überfrachtung und Überbeanspruchung nicht wahrnehmen.

Weltbeste Bildung muss viel mehr kosten. Wir benötigen daher endlich deutliche Entlastungen! Die LAiW-Studie des DPhV hat bereits vor der Pandemie und vor den jetzigen Herausforderungen durch den Ukraine-Krieg herausgestellt, dass die Lehrkräfte an den Gymnasien am Limit ihrer Kapazitäten sind.

  • Wir brauchen Schutz vor einer weiteren Entgrenzung der Arbeitszeit.
  • Wir brauchen Entbürokratisierung und Verwaltungsassistenten für alle Schulen.
  • Wir brauchen spürbar mehr Anrechnungsstunden. Wir brauchen eine Besetzungsquote von mindestens 110 Prozent.
  • Wir brauchen eine Absenkung der Pflichtstundenzahl.

Diese Forderungen kommen nicht nur den Lehrkräften zugute, ihre Umsetzung würde direkt an die Schülerinnen und Schüler weitergegeben, sie würden ebenfalls davon profitieren.

Wir Philologen werden im schul- und bildungspolitischen Raum tatkräftig unterstützen: Mit der Expertise unserer vielen Mitglieder, unserer Personalräte und unserem Geschäftsführenden Vorstand.