Wider die digitale Entmündigung
Neues zum Thema Digitalisierung: „(…) Dammer hat im Auftrag des nordrhein-westfälischen Philologenverbandes ein Gutachten zur Digitalisierungsstrategie des Landes verfasst, das auf mehrere Veröffentlichungen des nordrhein-westfälischen Kultusministeriums antwortet, das damals noch unter der Leitung von Kultusministerin Yvonne Gebauer (FDP) stand. (…)
Die Vorsitzende des nordrhein-westfälischen Philologenverbandes, der Vertretung der Gymnasial- und Gesamtschullehrer, Sabine Mistler, stört sich daran, dass die Lehrerverbände in die Entwicklung des Impulspapiers II überhaupt nicht eingebunden waren. „Wir wünschen uns Offenheit und Transparenz“, sagte Mistler der F.A.Z. Ob die digitalen Lernmedien zu deutlich besseren Lernergebnissen führen, hält sie für keineswegs ausgemacht. Der Verband plädiert deshalb für eine offene wissenschaftliche Begleitung und Evaluation, die auch Gefahren und Grenzen der Digitalisierung deutlich benennt. (…)
„Es handelt sich also um eine als Bottom-up getarnte Top-down-Strategie, bei der offen ist, inwiefern sie erfolgreich sein kann“, kritisiert der Philologenverband auf Grundlage des Gutachtens. Die pädagogische Seite als für Schulentwicklung ausschlaggebender Faktor sehen die Gymnasiallehrer vernachlässigt, „womit auch die professionelle Freiheit der Lehrkräfte gefährdet erscheint.“ Als besonders problematisch sieht der Verband die sogenannten „Learning Analytics“, deren didaktischer Nutzen er für begrenzt hält, weil Lernprozesse Algorithmen unterworfen werden, die in „bisher nicht gekannten Umfang die Kontrolle von Lehrern, Schülern und Schulen ermöglicht“. Die so oft als Vorzug digitaler Medien angeführte Individualisierung habe nichts mit Subjektbildung im Sinne einer möglichst breiten Entdeckung und Entfaltung persönlicher Potenziale zu tun, sondern eher mit der „selbstverantwortlichen Anpassung an Fremdsteuerung“. (…)
Zwar sieht der nordrhein-westfälische Philologenverband durchaus die Chance, das schwächere Schüler durch digitale Medien individuell gefördert werden, allerdings nur dann, wenn eine Lehrkraft als unterstützende Instanz hinzutritt“. Das Abarbeiten digital dem Lernniveau angepasster aufgaben dürfe nicht mit Förderung verwechselt werden. Aus diesem Grund begegnet der Verband der Behauptung mit Skepsis, dass der Einsatz digitaler Medien die Chancengerechtigkeit erhöhe. Bisher gebe es keine Belege dafür, sondern eher für das Gegenteil. (…) Auf der Grundlage Dammers fordert der Verband deshalb eine Technologiefolgeabschätzung, also eine theoretisch und methodisch fundierte Untersuchung der politischen, gesellschaftlichen, pädagogischen und ökologischen Folgen der Digitalisierung, deren Ergebnisse in der Öffentlichkeit breit diskutiert werden müssen.“
Der gesamte Beitrag ist am Donnerstag, 27. Oktober 2022, in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erschienen.
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