Ist die Digitalisierung der Schulen nutzlos? Falsch! Auf die Lehrkraft kommt es an (auch weiterhin) – ein Kommentar

Kategorien: PhV in den MedienVeröffentlicht: 30.10.2022

Eine aktuelle Studie im Auftrag des Philologenverbands Nordrhein-Westfalen betrachtet die Digitalisierung der Schulen kritisch. Mehr noch: Sie stellt „utopische Projektionen über die segensreichen Wirkungen der Digitalisierung“ fest. Heißt das also: alles Unsinn – brauchen Schüler und Lehrkräfte die Digitalisierung gar nicht? Mitnichten, so meint News4teachers-Herausgeber Andrej Priboschek und begründet das im folgenden Kommentar.

Zunächst mal: Es ist verdienstvoll vom Philologenverband NRW, eine Studie zur Wirkung der Digitalisierung in Schulen in Auftrag zu geben. Zielsetzung dabei war offensichtlich, die Blütenträume von einer Bildungswelt, in der einige wenige Lehrkräfte nur noch sanft die weitgehend selbstständig verlaufenden Lernprozesse von am Bildschirm klebenden Schülerinnen und Schülern moderieren, zu beenden und die Vorstellungen von den Möglichkeiten von der Digitalisierung der Bildung auf den Boden der Tatsachen zu stellen.

Und der sieht so aus: Ohne gut ausgebildete – also auch im Umgang mit digitalen Medien versierte – Lehrerinnen und Lehrer in ausreichender Anzahl, die sich um die Förderung der Kinder und Jugendlichen kümmern, wird die Digitalisierung der Bildung zum nächsten grandiosen Flop (nach G8 und Inklusion). Wie sagte der Augsburger Ordinarius Prof. Klaus Zierer bereits 2019? „Schlechter Unterricht wird mit digitaler Technik nicht besser.“ Guter Unterricht aber schon: Das Instrumentarium, das Lehrkräften zur Verfügung steht, wird durch offenere und individuell anpassbare Lernmedien maßgeblich erweitert.

Dass die aktuelle Studie im Auftrag der Philologen in Deutschland (noch) keine positiven Effekte der Digitalisierung in Schulen ausmachen kann, ist leicht zu erklären: Der Prozess ist ja gerade erst ins Laufen gekommen. Und auch das noch weitgehend unkoordiniert unter den Bedingungen, die die Corona-Krise mit sich gebracht hat. Bei einer Blitzumfrage von News4teachers unter knapp 4.800 Leserinnen und Lesern – die meisten davon Lehrkräfte – noch im Mai 2021 kam heraus, dass ein gutes Drittel (35 Prozent) der Meinung war, „nach Ende der Corona-Krise wird der Unterricht wieder wie vorher“. „Die Erfahrungen aus dem Distanzunterricht werden die Schule verändern“, so meinten fast ebenso viele, nämlich 34 Prozent – als würde der erzwungene Distanzunterricht als Vorbild taugen.

Nur knapp 20 Prozent sahen dagegen voraus, dass die bis dato eingeführten Videokonferenzen und eingescannten Hausaufgaben mit einer lernförderlichen und nachhaltigen Digitalisierung des Bildungsbetriebs wenig zu tun haben. Sie befanden: „Die Digitalisierung der Schulen wird zwar kommen – aber anders als jetzt.“

Im Klartext: Die meisten Lehrkräfte hatten noch im vergangenen Jahr kaum eine Vorstellung davon, wie digital gestützter Unterricht in der Praxis aussehen kann. Wie auch? Bis dato waren sie ja gar nicht dafür ausgestattet. Auch wenn seitdem mehr Geräte in den Schulen angelandet sind, ist es fraglich, ob sich daraus allein konkretere Vorstellungen ergeben.

Das Manko der von den Philologen beauftragten Studie ist nun, dass sie selbst wenig Erhellendes dazu beiträgt. Dass die Digitalisierung der Schulen mindestens drei inhaltliche Ebenen hat – und jede für sich betrachtet werden muss –, kommt in der Rezeption der Untersuchung nicht zur Sprache.

Thematisiert werden lediglich die Effekte des IT-Einsatzes für den konventionellen Unterricht. Die zweite Dimension ist die Unterrichtsorganisation. Lehrkräfte dürfen schon erwarten, durch IT künftig entlastet zu werden – ob bei der notwendigen Verwaltung ihrer Arbeit, der Unterrichtsvor- und -nachbereitung oder der Diagnose von Lernständen. Dass darüber hinaus, dritte Ebene, Schülerinnen und Schülern vermittelt werden muss, wie sie sich in einer digitalen Welt orientieren – Stichwort: Medienkompetenz -, und dass der Umgang mit einer entfesselten Informations- und Meinungsflut kaum mit Kreide und Tafel erklärt werden kann, ist darüber hinaus entscheidend.

„Medienerziehung ist eine der zentralen Erziehungsaufgaben unserer Zeit, zu der gerade in der Schule ein umfassender Beitrag zu leisten ist“

Es gebe eine große Anzahl an Studien, die darauf hinwiesen, dass ein unreflektierter Medienkonsum im außerschulischen Bereich massiv zu Lernrückgängen bei den Kindern führe, so stellte der Bildungsforscher Zierer unlängst fest. Im Umkehrschluss heißt das für ihn: „Medienerziehung ist eine der zentralen Erziehungsaufgaben unserer Zeit, zu der gerade in der Schule ein umfassender Beitrag zu leisten ist.“

Zierer betont aber auch mit Blick auf die Erfahrungen aus der Corona-Krise: „Ein digitaler Fernunterricht vermag es nicht, Präsenz zu ersetzen.“ Was schon seit mehr als 30 Jahren bekannt sei, hätten jüngste Forschungsergebnisse bestätigt (und die Studie im Auftrag der Philologen schließt sich dort nahtlos an): „Digitale Medien revolutionieren einen Unterricht nicht per se: Ein schlechter Unterricht wird durch digitale Medien nicht besser. Nur ein guter Unterricht kann davon profitieren.“

Auf den Punkt gebracht, heißt das: Auf die Lehrkraft kommt es an – künftig nicht minder.

Der Kommentar ist am Sonntag, 30. Oktober 2022, bei News4Teachers erschienen.