Stellungnahme zum Verfahren zur Anmeldung an weiterführenden Schulen für alle Schulformen in gleicher Weise transparent, effektiv und fair gestalten

Kategorien: Aktuelles, StellungnahmeVeröffentlicht: 11.01.2023

STELLUNGNAHME

des Philologenverbandes Nordrhein-Westfalen
(phv NRW)

zum Verfahren zur Anmeldung an weiterführenden Schulen
für alle Schulformen in gleicher Weise transparent, effektiv und fair gestalten

Antrag der Fraktion der FDP, Drucksache 18/979

Anhörung des Ausschusses Schule und Bildung
am 18. Januar 2023

Sehr geehrter Herr Kuper,

im Namen des Philologenverbands NRW (PhV NRW) bedanke ich mich für die Möglichkeit der Stellungnahme.

Einleitend sei angemerkt, dass der Philologenverband sich mehrheitlich mit den im Antrag beschriebenen Forderungen und Anmerkungen identifizieren kann.

Die Anpassung des Anmeldeverfahrens war bereits in der letzten Legislatur in der Diskussion. Sie wurde gegen deren Ende mit ähnlichen Argumenten von der CDU eingebracht und wurde dann von der damaligen FDP-Schulministerin und ihrer Partei nicht unterstützt.

Wir begrüßen sehr, dass mit diesem Antrag der FDP der Faden wieder aufgenommen wird und wir die Möglichkeit haben, unsere Einschätzung dazu erneut vorzubringen.

Bereits in der Stellungnahme an das Schulministerium im Zusammenhang mit dem Entwurf einer fünften Verordnung zur Änderung der Ausbildungs- und Prüfungsordnung Sekundarstufe I (gem. §77 SchulG NRW), haben wir folgende Aussage getroffen:

„Im Sinne der Beibehaltung des Schulfriedens und des Bekenntnisses zum vielfältigen Schulsystem, bringen wir an dieser Stelle unsere erneute Forderung nach einer landesweiten Aufhebung des vorgezogenen Anmeldeverfahrens vor, um allen Schulformen der Sek I/II die Möglichkeit zu eröffnen, Schülerinnen und Schüler gemäß ihrer Grundschulempfehlung an einer weiterführenden Schule ihres Wunsches aufnehmen zu können. Darüber hinaus wäre aus unserer Sicht auch folgerichtig, den Kriterienkatalog zur Aufnahme einer Schülerin/eines Schülers an einer weiterführenden Schule bzw. Schulform, um eine Priorisierung des empfohlenen Bildungsgangs zu erweitern.“

Zur Stärkung eines Schulsystems mit differenzierten Profilen und Angeboten ist eine Unterstützung der unterschiedlichen Schulformen unabdingbar. Dazu gehört auch, dass Eltern bei der Wahl der Schulform eine echte Wahlfreiheit haben. In vielen Kommunen in NRW ist dies u.a. auch wegen des vorgezogenen Anmeldeverfahrens nicht mehr möglich.

Das nachgelagerte Verfahren bewirkt an Gymnasien und Realschulen nicht generell eine reduzierte Anmeldezahl, verhindert somit auch nicht grundsätzlich Anmeldeüberhänge, sodass man nicht prinzipiell behaupten kann, dass diese Schulformen „ihre Klassen auch mit nicht für diese Schulformen geeigneten Schülerinnen und Schülern“ füllen müssen.

Schwerwiegender ist aus Sicht betroffener Schülerinnen und Schüler das Problem, dass sie an einigen Standorten mit vorgezogenem Anmeldeverfahren zwangsläufig von einer Schulform aufgenommen werden müssen, die ihren Begabungen und Möglichkeiten nicht entspricht. Dieses Problem betrifft Gymnasien in besonderer Weise und ist nach unserer Überzeugung aus pädagogischen Gründen nicht akzeptabel – vor allem dann, wenn die Wahl der Schulform nicht freiwillig erfolgt ist. Aus unserer Sicht kann es nicht sein, dass ein Schulformangebot so eingeschränkt ist, dass es nicht allen Bedarfen entspricht.

So ist es pädagogisch nicht sinnvoll, wenn z. B. ein Kind mit Hauptschulempfehlung an einem Gymnasium aufgenommen werden muss, da die einzig andere weiterführende Schule, beispielsweise eine Gesamtschule, dieses Kind abgelehnt hat, weil sie für diesen Bildungsgang „voll“ ist.

Die Durchlässigkeit muss in alle Richtungen gewährleistet und möglich sein, es kann nicht sein, dass sich Schulleitungen von Gymnasien vielerorts immer wieder die Aufnahme einer Schülerin/eines Schülers mit entsprechender Empfehlung z.T. mit großem Aufwand „erkämpfen“ müssen oder gar der Übergang eines Kindes mit gymnasialer Empfehlung an die ihm gemäße Schulform nicht gelingt, weil Schulträger bürokratische Hürden eingebaut haben.

Derartige Fehlentscheidungen schaden vor allem den betroffenen Kindern, weil man davon ausgehen kann, dass die Schulform-Entscheidung der Klassenkonferenz als Grundlage immer im Sinne des jeweiligen Schülers/Schülerin wohlüberlegt getroffen wird. Selbstverständlich darf auch eine Wechselmöglichkeit auf das Gymnasium nicht vereitelt werden.

Im Zusammenhang mit den Folgen und Auswirkungen der Corona-Pandemie, die sich nicht nur an fachlichen Defiziten, sondern auch psychosozialen Problemen festmachen lassen, müsste die Wechselmöglichkeit sich auch über die gesamte Mittelstufe erstrecken können.

Zu den Mehrfachanmeldungen hat sich der PhV NRW bereits in der oben erwähnten Stellungnahme geäußert. Wir begrüßen die Neufassung. Sie dient einer Verschlankung des Verfahrens und entlastet Schulleitungen und Koordinatoren, da die Anzahl verbindlicher Anmeldegespräche reduziert wird. Die Möglichkeit eines digitalen Anmeldeverfahrens, wie es im Antrag vorgeschlagen wird,  ist zu prüfen. Es stellt sich dabei beispielsweise die Frage, wie dabei mit Schülerinnen und Schülern umgegangen wird, die sich ohne entsprechende Grundschul-Empfehlung dennoch an einem Gymnasium oder einer Realschule anmelden wollen.

Im Sinne der Aufklärung über die unterschiedlichen Schullaufbahnen in NRW halten wir es für unabdingbar, dass die Eltern spätestens am Ende der Grundschulzeit umfassend informiert werden sollen. Wir freuen uns, dass diese verschriftlichte Forderung des PhV NRW Einzug in den Koalitionsvertrag gefunden hat. Es ist wichtig, dass Eltern tatsächlich im Sinne ihrer Kinder entscheiden und sie wissen, dass nicht nur der Besuch eines Gymnasiums oder einer Gesamtschule Abschluss eines Abiturs ermöglicht. Wie diese Aufklärung vorgesehen ist, würde uns zeitnah sehr interessieren.

Wir müssen unbedingt wieder dahin kommen, dass alle Schulabschlüsse die gleiche gesellschaftliche Anerkennung finden. Nur dann können wir von Chancengerechtigkeit und von einer Wertschätzung aller jungen Menschen sprechen. Wir halten es daher für eine dringende politische Aufgabe, einen entsprechenden gesellschaftlichen Änderungsprozess in Gang zu setzen.

Düsseldorf, den 10.01.2023

gez. Sabine Mistler
(Vorsitzende PhV NRW)