Stellungnahme zum Kernlehrplan Mathematik

Kategorien: Aktuelles, StellungnahmeVeröffentlicht: 17.03.2023

STELLUNGNAHME

des Philologenverbandes Nordrhein-Westfalen
(PhV NRW)

zum Kernlehrplan Mathematik
in der gymnasialen Oberstufe an Gymnasien, Gesamtschule
und Weiterbildungskolleg/Abendgymnasium

– Durchführung der Verbändebeteiligung gem. § 77 Abs. 3 SchulG –


I. Allgemeiner Teil

Der PhV NRW nimmt zu den Kernlehrplan-Entwürfen für die Oberstufe in den Fächern Deutsch, Mathematik, Englisch und Französisch jeweils ausführlich Stellung.

Wir weisen darauf hin, dass für die Bündelungsschulen mit der Einrichtung der EF im kommenden Schuljahr die Implementierung der neuen KLP eine große Herausforderung darstellt und möglichst schnell Unterstützungsmaterialien bereitgestellt werden müssen.

Nach einer größeren Umstrukturierung der KLP für die Oberstufe durch die letzte Novellierung im Jahr 2013 stellt sich in den einzelnen Fächern grundsätzlich die Frage nach der Notwendigkeit von Veränderungen. Diese liegt sicherlich zum einen in der Anschlussfähigkeit zur Sek. I durch die neuen KLP im Jahr 2019. Zum anderen bleiben Diskussionspunkte, die bereits im Rahmen der KLP von 2013 geäußert wurden und sich auf grundlegende Fragen wie der sinnvollen Einbindung des MKR NRW, der stärkeren Konkretisierung von Inhalten und dem Vermeiden einer inhaltlichen Überfrachtung beziehen.

Bei der Novellierung der KLP aller Fächer müssen die aktuellen Entwicklungen im Zusammenhang von KI (DeepL, ChatGPT etc.) hinsichtlich ihrer Konsequenzen für Unterricht und Leistungsbewertung geprüft werden. Gegebenenfalls sind eine Erweiterung des MKR NRW sowie Änderungen bestimmter Aufgaben- und Prüfungsformate notwendig. Die KLP sollten dazu konkrete Beispiele und Hilfen geben. Chancengleichheit und Eigenständigkeit der individuellen Leistung sind weiterhin wichtige Kriterien bei der Bearbeitung von Lern- und Prüfungsaufgaben. Insofern brauchen wir klare Handlungsempfehlungen, wann die Nutzung bestimmter digitaler Medien und Werkzeuge sinnvoll ist und wann sie eingeschränkt werden sollte. Bestimmte Aufgaben- und Prüfungsformate, wie Teile der häuslichen Arbeit, die besondere Lernleistung und die Facharbeit müssen auf den Prüfstand gestellt werden. Das wissenschaftspropädeutische Lernen bekommt einen neuen Stellenwert, da den Schülerinnen und Schülern bewusst gemacht werden muss, dass bestimmte Formen der KI keine Quellen angeben und auch Falschaussagen enthalten, die sich nur schwer überprüfen lassen.

II. Fachspezifischer Teil für den Kernlehrplan Mathematik

Aufgaben und Ziele des Faches:

Zu befürworten sind

  • die Hinweise auf die Bereiche, in denen die Mathematik einen Beitrag zum Bildungs- und Erziehungsauftrag leisten kann,
  • die Orientierung an Grunderfahrungen Winters,
  • die Begrifflichkeit „Lernumgebung“ nach Leisen als Fortsetzung aus dem KLP S I.

Zu ergänzen, deutlicher hervorzuheben bzw. zu erläutern sind

  • der Aspekt der Sprachsensibilität,
  • die Verständnisorientierung, v.a. durch das mathematische Prinzip: Inhalt vor Kalkül,
  • die Leitideen – Welche Ideen sind gemeint? (Zahl, Messen, räumliches Strukturieren, funktionale Zusammenhänge, Wahrscheinlichkeit, Algorithmus, mathematisches Modellieren – diese zentralen Ideen wurden im alten Lehrplan (1999) explizit genannt).

 

Kompetenzbereiche, Inhaltsfelder, Kompetenzerwartungen

Zu befürworten sind

  • die bewährte Zweisäuligkeit aus prozessbezogenen und inhaltsbezogenen Kompetenzen, wobei nicht ersichtlich ist, warum die alten Formulierungen nicht beibehalten werden (statt Prozesse und Gegenstände),
  • die Aufwertung des Kompetenzbereichs „Kommunizieren“ durch die Formulierung: “Mathematisches Kommunizieren umfasst das Rezipieren, Produzieren und Diskutieren fachlicher Bearbeitungen.”,
  • die Formulierung: Operieren als grundlegender Bestandteil aller Prozesse,
  • die treffendere Formulierung im Bereich Problemlösen: Kopfrechnen und Heuristik enthalten höheren Stellenwert,
  • die Erweiterung im Bereich Produzieren: Erstellen digitaler Lernprodukte, bzw. Einsatz digitaler Werkzeuge.

Um Missverständnisse zu vermeiden sollte

  • verdeutlicht werden, warum “Werkzeuge nutzen” als eigene Kompetenz entfällt und vermutlich in dienender Funktion unter „Operieren“ subsumiert wird,
  • der Satz: „Ein verständiger Umgang mit Medien und Werkzeugen setzt sicheres hilfsmittelfreies Operieren voraus“ umformuliert werden in „Ein sicheres hilfsmittelfreies Operieren bildet die Grundlage für einen verständigen Umgang mit Medien und Werkzeugen.“

Erläuterung: Bei einem verständnisorientieren Unterricht, der stets die Grundbildung im Blick hat, kann ein Algorithmus verstanden werden, ohne ihn vorher (und nachher) sicher hilfsmittelfrei zu berechnen. Daher kann nach einem Verstehensprozess im Unterricht ein Werkzeug zum Lösen des Algorithmus vollständig und reflektiert genutzt werden, auch wenn ein SuS den gleichen Algorithmus noch nicht ganz sicher hilfsmittelfrei zu lösen weiß.

Als weiterer Kompetenzbereich könnte aufgeführt werden

  • die Begriffsbildung (Inhalt vor Kalkül), die Ausschärfung Grundbildung im Mathematikunterricht sowie die Verstehensorientierung.

Zu ergänzen bzw. zu erläutern ist

  • die Darstellung der Kompetenzbereiche (S.11f). Erläuterung: Die Ausführungen werden sehr allgemein gehalten und ermöglichen jeder Lehrkraft an trivialsten Beispielen sicherzustellen, dass sie dies als Bestandteil in ihrem Unterricht gelehrt hat. Das Folgekapitel – eher inhaltsfeldorientiert – hebt das nicht auf.
Inhaltsfelder:

Zu befürworten ist

  • die klare Abgrenzung zu G8 durch Veränderung der inhaltlichen Schwerpunktsetzungen im Gymnasiallehrplan.

Fraglich ist, ob

  • die inhaltliche Anforderung an einen GK nicht insgesamt viel zu hoch angesetzt ist, um noch Zeit für einen vertiefenden und vernetzenden Unterricht zu ermöglichen – der Hinweis auf zu nutzende Freiräume scheint absolut unrealistisch,

Offensichtlich kommt einiges dazu, kaum etwas fällt weg. Sportlich!

  • im GK nicht doch in einzelnen Bereichen die Verfahrensorientierung über die Verständnisorientierung gestellt wird, beispielsweise 2.4.1. (5)
    – insbesondere bei Ableitung der Potenzfunktionen und  und der Anwendung der Produktregel.
Analysis:

Zu befürworten ist, dass

  • in den inhaltlichen Schwerpunkten nur noch Potenz- und ganzrationale Funktionen genannt werden, weil Sinus- und Exponentialfunktion wieder in der SI behandelt werden.
  • Die zweite Ableitung und Wendepunkte wieder (analog zu Extrema) in der EF behandelt werden.
  • Steigungswinkel sachlogisch in der EF thematisiert werden, statt diese erst in der Q-Phase wieder aufzugreifen.
  • über z.B. die Wurzelfunktion der Gedanke der Umkehrfunktion vermittelt werden kann.

Fraglich ist, ob

  • die Formulierung eines propädeutischen Grenzwertbegriffs konsistent ist zur verpflichtenden Vorgabe der Limes-Schreibweise.
Geometrie:

Zu befürworten ist, dass

  • Geometrie in der EF wieder stattfindet, um im Sinne des Spiralcurriculums in der Q-Phase darauf aufbauen zu können.
  • Koordinatenform und Normalenvektor auch im GK behandelt werden, aus pragmatischen Gründen (Rechenaufwand).

Fraglich ist, ob

  • “ein algorithmisches Lösungsverfahren ohne digitale Mathematikwerkzeuge” in der Praxis nicht doch ausschließlich der Gauß-Algorithmus sein wird.
 Stochastik:

Begrüßenswert ist, dass

  • Testen von Hypothesen zum Schätzen von Parametern wird,
  • Konfindenzintervalle im Bereich Medien und Werkzeuge aufgeführt sind,
  • im LK-Bereich die beurteilende Statistik aufgewertet wurde, da sie in zahlreichen Berufsfeldern relevant ist.

Fraglich ist, ob

  • das Streichen der Behandlung von Matrizen/ Übergangsmatrizen/ stochastischen Prozessen sinnvoll ist, durch die damit verbundene Abschaffung der Möglichkeit spannender Verbindungen der Teilgebiete (also die Verwendung von Mitteln aus LAAG in der Stochastik) und dem damit verbundenen wissenschaftspropädeutischen Wert.
Lernerfolgsüberprüfung und Leistungsbewertung

Die Kürzung der Liste der “Aufgabentypen zur Leistungsüberprüfung und Unterrichtsgestaltung” (alte KLP S. 39ff) ist zu überprüfen. Sie ist wichtig, um klarzustellen, dass nicht nur geschlossene Aufgaben in Klausuren gestellt werden dürfen.

Problematisch und nicht stringent erscheint das Lösen von LGS, Gleichungen und das Bilden von Ableitungen ohne MMS in Klausuren, wenn im Unterricht auch MMS benutzt werden soll vor dem Hintergrund der knappen Zeit und den damit verbundenen fehlenden Trainingsmöglichkeiten.

Die fehlende Ausweisung von offenen, geschlossenen und vernetzten Aufgaben wird nicht aufgefangen durch die neue Kategorisierung hilfsmittelfrei – explorativ – realitätsnah. Es ist zu überprüfen, ob hier Veränderungen erforderlich sind.

Düsseldorf, den 17. März 2023

gez. Sabine Mistler
– Vorsitzende –