Der Zweite Bildungsweg als unverzichtbares Angebot und Garant von Chancengerechtigkeit

Kategorien: Positionspapiere, Zweiter BildungswegVeröffentlicht: 18.03.2024

Vorwort

In dem Maße, in dem der erste Bildungsweg mit veränderten Realitäten und Anforderungen konfrontiert ist und Schülerinnen und Schüler nicht mehr in jedem Fall den Bildungsgang besuchen und durchlaufen können, der ihren Begabungen, Neigungen und Fertigkeiten entspricht, steigt die Notwendigkeit eines institutionalisierten Korrektivs und flächendeckend verfügbaren Angebotes an, um gebrochene Bildungsbiographien auffangen zu können. Hier kann Nordrhein-Westfalen auf ein bundesweit einmaliges Netzwerk von Abendrealschulen, Abendgymnasien und Kollegs zurückgreifen.

Dieses Netzwerk ist jedoch in den letzten Jahren aufgrund schrumpfender Studierendenzahlen unter Legitimationsdruck geraten, wodurch es zu einer Welle von Schulschließungen und Zusammenschlüssen zu Bündelschulen[1] gekommen ist. Dies liegt nicht zuletzt an der stark gewandelten Zusammensetzung der Studierendenschaft. Die klassische Klientel der aufstiegsorientierten, berufstätigen Erwachsenen mit klaren Zielvorstellungen bildet inzwischen nicht mehr die Mehrheit der Studierenden. Auch ist die Heterogenität mit Blick auf die Herkunft, die Lernausgangslagen und die sprachlichen Kompetenzen stetig stark angestiegen, was eine durchgängig hohe Abbrecherquote der Studierenden nach sich zieht. Das gleiche gilt für Studierende mit gesundheitlichen Einschränkungen oder speziellem Förderbedarf.

Diesen Entwicklungen haben sich die Weiterbildungskollegs in den letzten Jahren mit Erfolg gestellt und eigeninitiativ große Anstrengungen unternommen, um diesen Entwicklungen gerecht zu werden. Als ein Erfolgsrezept dürfen dabei u. a. die Einführung der blended-learning-Bildungsgänge FOR-online und abitur-online, eine moderne und erwachsenengerechte Didaktik sowie umfangreiche zielgruppenorientierte Beratungskonzepte gelten.

Forderungen des Philologenverbandes Nordrhein-Westfalen

  • Das Land NRW und die Schulträger müssen zur Weiterqualifizierung der Studierenden mit dem Ziel einer Reduzierung des Fachkräftemangels ein gut ausgebautes und flächendeckendes Netz an Weiterbildungskollegs vorhalten, dessen Fortbestand sich mit Blick auf die besondere Situation nicht vorrangig an Sachzwängen, Zahlen und Kennziffern orientiert. Dazu gehören auch eine noch bessere Öffentlichkeitsarbeit und die Integration der WBKs in kommunale und behördliche Netzwerke.
  • Die Zugangsvoraussetzungen müssen dringend modernisiert werden, da sie den veränderten gesellschaftlichen Realitäten und Bildungsbiographien der Studierenden nicht mehr gerecht werden: Jeder sollte am Weiterbildungskolleg aufgenommen werden, der eine Berufsausbildung abgeschlossen hat oder eine mindestens zwölfmonatige berufsbezogene Tätigkeit ausgeübt oder in den letzten zwölf Monaten keine Einrichtung des ersten Bildungsweges besucht hat.
  • Im Rahmen der vom MSB NRW avisierten Anpassung und Vereinheitlichung der Kernlehrpläne in den Fächern VWL, Soziologie und Geschichte/Sozialwissenschaften sollen die Inhalte der bisherigen WBK-spezifischen Fächer in die „neuen“ Fächer eingebracht werden. Das MSB muss dabei zwingend die Vertretung der Weiterbildungskollegs in den zukünftigen Lehrplankommissionen sicherstellen und für die WBKs eigene Abschnitte erarbeiten lassen, die den enorm heterogenen Lernausgangslagen, der reduzierten schulischen Präsenzzeit und den familiären und beruflichen Verpflichtungen der Studierenden Rechnung trägt. Dafür muss man sich mit Blick auf die sehr heterogene Zusammensetzung und Herkunft der Studierenden von der realitätsfernen Illusion mit dem ersten Bildungsweg vergleichbarer Kompetenzen und Kenntnisse beim Eintritt in die WBKs freimachen.
  • Die Weiterbildungskollegs müssen auch weiterhin zweimal im Jahr Studierende aufnehmen können und das Herbstabitur muss erhalten bleiben.
  • Bislang ungenutzte Potenziale und Erfolge des Zweiten Bildungsweges bei der Qualifikation und Integration von Migrantinnen und Migranten müssen besser als bisher sichtbar werden. Dazu gehört die Möglichkeit vorbereitender LIFT- und Integrationskurse und die Möglichkeit, im Rahmen von Sprachkursangeboten anerkannte Sprachzertifikate vergeben zu können, die auf den nahtlosen Übergang in die Bildungsgänge der Weiterbildungskollegs vorbereiten.
  • Mit Blick auf die sehr heterogene Studierendenschaft ist ein flächendeckender und verlässlicher Ausbau sozialer und psychologischer Beratungsangebote dringend geboten.
  • abitur-online und FOR-online müssen flächendeckend ausgebaut und weiterentwickelt werden.

[1]     Gemeint sind hier Zusammenschlüsse verschiedener Bildungsgänge wie z. B. Abendgymnasium und Abendrealschule unter einem Dach bzw. an einem Standort.