Stellungnahme zum Gutachten der SWK zur „Lehrkräftegewinnung und Lehrkräftebildung für einen hochwertigen Unterricht“

Kategorien: StellungnahmeVeröffentlicht: 10.04.2024

STELLUNGNAHME

des Referats Lehrerausbildung
des Philologenverbandes Nordrhein-Westfalen
(PhV NRW)

zum Gutachten der
Ständigen Wissenschaftlichen Kommission der
Kultusministerkonferenz (SWK)

von Dezember 2023

zur „Lehrkräftegewinnung und Lehrkräftebildung für einen hochwertigen Unterricht”

Die Ständige Wissenschaftliche Kommission hat eingangs zu Recht auf die hohe Bedeutung des beruflichen Handelns gut ausgebildeter Lehrkräfte für die Bildung und Entwicklung unserer Kinder und Jugendlichen hingewiesen, und die gesellschaftliche Wertschätzung als wichtigen Motivationsfaktor herausgestellt. (Einleitung S.4)

Im Alltag scheint dies zuweilen weit von der Realität entfernt zu sein, denn selbst wenn der Begriff Wertschätzung hier und da fällt, so kommt er im Alltag bei den Lehrkräften nicht an. Wahrgenommen werden vielmehr wachsende Belastungen durch die Übernahme zusätzlicher Aufgaben bei gleichzeitiger öffentlicher Geringschätzung der eigenen Arbeit.

Zu Recht wird im Gutachten darauf verwiesen, dass, wie auch in der OVP NRW für das Lehramt GY/GE vorgegeben, „differenziertes, fachdidaktisches und pädagogisch-psychologisches Wissen, professionelle Überzeugungen, motivationale Orientierungen und Selbstregulationsfähigkeiten sowie reflektierte praktische Erfahrungen und unterrichtsbezogene Fähigkeiten“ grundlegende Voraussetzungen für den Lehrerberuf sind und dass hierauf ein Augenmerk zu richten ist. Selbstverständlich ist auch, dass forschungsbasiertes Wissen den Grundstock bildet und dass die Verknüpfung von Theorie und Praxisphasen zum Kompetenzaufbau beiträgt. Diesen Aussagen können wir uns zustimmend anschließen.

Dennoch ergeben sich weitere Anschlussfragen, wie etwa die, nach der konkreten Vorstellung einer Verknüpfung der angedachten drei Phasen der Lehrerbildung, beginnend mit dem Studium, über den Vorbereitungsdienst (VD) bis hin zum begleiteten Berufseinstieg als dritter Phase.

Vor dem Hintergrund des aktuellen Lehrkräftemangels in einzelnen Fächern bzw. Schulformen spielt dann auch die Frage nach der Lehrkräftegewinnung und deren Finanzierung ebenfalls eine bedeutende Rolle.

Wir stimmen der Aussage uneingeschränkt zu, dass Attraktivität und gesellschaftliche Anerkennung in den Blick zu nehmen sind, weichen aufgrund von Erfahrungen aus dem berufspraktischen Alltag jedoch in einigen Punkten von der Einschätzung der SWK ab.

Die erste Phase der Professionalisierung, die universitäre Ausbildung, ist wichtig und fokussiert auf die fachliche Ausbildung und die Vermittlung theoretischer Grundlagen. Sie kann aber nur in Teilen vorbereitend für die zweite Phase sein. An den Universitäten gibt es nicht hinreichend Einblick in den späteren Berufsalltag. Daher hat sich in NRW bereits im Praxissemester die Kooperation mit den Zentren für schulpraktische Lehrerausbildung in der ersten Phase bewährt. Sowohl begleitend im Praxissemester als auch hauptverantwortlich in der zweiten Phase, dem VD (Vorbereitungsdienst), haben die Seminarausbilderinnen und -ausbilder der ZfsL eine Schlüsselposition inne, um die reflektierte Verzahnung von Theorie und erlebter Praxis zur Professionalisierung zu gewährleisten.

Auch in der dritten Phase[1]  des Berufseinstiegs mit der Maßgabe einer lebenslangen Weiterbildung, angeboten u.a. durch Fortbildende, die oft aufgrund ihrer Expertise aus der Praxis am ZfsL, in die Fortbildungsabteilungen eingebunden sind, haben Lehrkräfte die Möglichkeit ihre Kompetenzen zu festigen und zu erweitern.

An den universitären Zentren für Lehrkräftebildung arbeiten unterstützend einige Lehrkräfte mit Praxiserfahrungen. Gerade in NRW bleibt den Professorinnen und Professoren aufgrund des eigenen, zumeist rein universitären, Werdegangs ein vertiefter Einblick in die schulische Praxis jedoch verwehrt. Dennoch ist für eine universitäre Lehrtätigkeit in Lehramtsstudiengängen eine mindestens dreijährige Schulpraxis weiterhin gewünscht. Die Realität sieht hier allerdings oftmals anders aus. Kaum jemand bringt diese dreijährige Praxiserfahrung mit. Zudem stehen diese Zentren an den Universitäten nicht im Fokus, da dort kaum Drittmittel zu akquirieren sind. Hier sollten den Universitäten Förderungsangebote gemacht werden, um die Bereitschaft zum Ausbau von Lehramtsstudiengängen zu steigern.

Seit langem ist der Mangel an Förder- und Grundschullehrkräften bekannt. Verändert wird trotz der Forderung nach Reduzierung des NCs für Sonderpädagogik und Studierende für die Primarstufe wenig. Weder werden in ausreichendem Maße Studienplätze geschaffen, noch wird über Veränderungen von fachlichen Anforderungen nachgedacht.

Dazu einige Anmerkungen:

  • Die Behandlung von Querschnittsthemen darf nicht auf Kosten der fachlichen und fachdidaktischen Ausbildung gehen. Auch „mehr Praxis“ im Studium ist kein Instrument zur besseren Professionalisierung an den Schulformen mit Sek II und auf keinen Fall gegen eine fachliche Ausbildung aufzurechnen.
  • Die Querschnittsthemen sind relevant für die Bewältigung der späteren Praxis. Daraus ergibt sich ein Dilemma, wenn im Rahmen eines festgelegten ECTS-Volumens vermittelt werden muss. Entweder man behandelt Digitalisierung, Heterogenität, etc. auf einer allgemeinen theoretischen Ebene, was aber dem Handeln in der Praxis wenig nützt, oder man integriert diese Aspekte in die (schulformbezogenen) Fachdidaktiken, was dann einen praktischen Mehrwert hätte, wofür aber die lehrenden Fachleute fehlen. Im VD sind dagegen die Experten aus der Praxis vorhanden.
  • Die Verknüpfung der Zentren für schulpraktische Lehrerausbildung mit den Zentren für Lehrkräftebildung an den Universitäten, ist in NRW über die Betreuung der Lehramtsstudierenden im Praxissemester gegeben und wird dann in der zweiten Phase nach dem Universitätsstudium intensiviert. Die Verantwortung für den VD liegt zu Recht in den Händen der ZfsL in Kooperation mit den Schulen und auf Grundlage der OVP.
  • Aus Sicht des PhV NRW ist eine Stärkung der ZfsL unter Beibehaltung des mindestens 18-monatigen VD zu befürworten. Eine weitere Verkürzung des Referendariats reduziert den als wichtig erkannten kumulativen Kompetenzaufbau durch die lernwirksame Verknüpfung von Theorie und Praxisphasen. Der VD als Brücke zwischen Universität und langjährigem Berufsleben ist unverzichtbar.
  • Die Professionalisierung einer Lehrkraft ist auch mit der eigenen Entwicklung verknüpft. Abiturientinnen und Abiturienten benötigen einige Zeit, um ihr jugendliches Ich durch Studium und Lebenswelt zu reflektieren, Erfahrungen und Verantwortungen als junge Erwachsene zu machen und daran zu reifen, um den eigenen beruflichen Werdegang planen und lenken zu können. Daher ist in der Regel erst die Zeit des Masterstudiums und folgend die Zeit des VD als zielführend und wichtig für die Professionalisierung anzusehen.
  • Ein duales Studium ist für die Lehrerbildung aus den o.g. Gründen abzulehnen. Die über den Seiteneinstieg (OBAS) begleitende didaktische Ausbildung halten wir für angemessen. Eine von Grund auf duale Ausbildung halten wir im Sinne der Qualitativen Ausbildung für ungeeignet.
  • Ein Ausbau der Mentoring-Programme, wie sie es z.B. im Praxissemester oder für Seiteneinsteiger in NRW bereits gibt, bedeutet gleichfalls ein Aufgabenzuwachs für die Mentorinnen und Mentoren. Hier muss das Vorhandensein von ausreichend Personal und dessen Entlastung an anderer Stelle geklärt sein.
  • Unklar bleibt, wie man sich ein phasenübergreifendes Qualitätsmanagement vorstellen soll, wie im Gutachten erwähnt.

Zu den einzelnen Empfehlungen:

Lehrerbedarfsprognosen und Fächerneigungen

Es sollte eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein, dass die für die Prognose relevanten Zahlen sowohl schulformspezifisch als auch fachabhängig (S.6) nicht nur punktuell vorliegen. Schon seit langem fehlen fachspezifisch in den MINT-Fächern Interessierte für alle Schulformen. Aussagekräftige Prognosen würden schon bei der Auswahl der Studienfächer und ggf. des Lehramtes helfen. Zugängliche Prognosen über Mangel- und Überhangfächer für Studierende, differenziert nach Schulform, gibt es zum Beispiel in Baden-Württemberg. Zumindest für die beworbenen MINT-Fächer gibt es seit langem günstige Einstellungsprognosen, die aber zu keiner signifikanten Verschiebung des Studieninteresses geführt haben. Insofern wäre es sinnvoll das Problem von der anderen Seite her zu betrachten und sich zu fragen, warum bestimmte Fächer häufig und andere, trotz Werbung, wenig gewählt werden. So könnte die sich in Wellen wiederholende Diskrepanz zwischen zu vielen ausgebildeten Lehrkräften gegenüber dem Mangel zumindest verringert werden.  Hier kann den drei erläuterten Empfehlungen nur zugestimmt werden.

Gewinnung von Studierenden, Sicherung von Studienerfolg und phasenübergreifende Optimierung der Ausbildung

Der beschriebene Teufelskreis zwischen Lehrkräftemangel und wachsendem Anteil an Schülerinnen und Schülern, die die Mindeststandards nicht erreichen, kann nur durch deutlich mehr Attraktivität des Berufs durchbrochen werden. Werbekampagnen allein werden die jungen Menschen nicht überzeugen. Viele haben durch ihre eigene Schulzeit und dem Kontakt zu Lehrkräften einen vermeintlichen Einblick in die Praxis und glauben, die Herausforderungen bereits zu kennen. Sobald sie verstehen, dass die Achtung vor dem Beruf gesellschaftlich fehlt und dass Aufstiegsmöglichkeiten begrenzt sind, dafür aber Belastungen stetig steigen, verpuffen Plakate, Postkarten oder Video-Clips. (Empfehlung 4)

Studierende im Bachelor- und Masterstudium nutzen die Möglichkeiten der befristeten Verträge, um ihr Studium zu finanzieren und sich des Berufswunsches zu vergewissern. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass sich, wie korrekt festgestellt, „dysfunktionale Handlungsroutinen unreflektiert einschleifen“ (S.8), die dann mühsam im VD wieder abgebaut werden müssen, da diese Vertretungslehrkräfte an ihrer Schule kein Mentoring erfahren haben. Einige Studierende lassen dagegen lieber ihr Studium schleifen oder brechen ganz ab. Der PhV NRW sieht, wenn überhaupt, ausschließlich Studierende im Master, also nach einem ersten Grundlagenstudium und dem Erwerb erster fachwissenschaftlicher und fachdidaktischer Expertise, als Vertretungslehrkräfte mit entsprechenden Verträgen. Diese Verträge dürfen dann nicht mehr als ein halbes Lehrdeputat umfassen, um weiterhin das Studium zu verfolgen. Darüber hinaus braucht es hier für jedes Fach Mentorinnen und Mentoren, die ähnlich entlastet werden müssen, wie die Betreuerinnen und Betreuer der Praxissemester. Das scheint allerdings mit den aktuellen Ressourcen weder finanziell noch personell machbar. Nicht-eigenverantwortliche Unterstützung an Schulen, im Sinne etwa einer Übermittags- bzw. Nachmittagsbetreuung oder im Sinne von Alltagshelfern kann durchaus hilfreich und sinnvoll sein.

Abbrüche des Studiums, oder auch im VD, lassen sich nicht verhindern, aber durch mehr Transparenz hinsichtlich der Anforderungen von Beginn an sicher vermindern. Wenn auf die Berufs- und Studienorientierung verwiesen wird, so muss hier erwähnt werden, dass der PhV NRW für die Gymnasien schon lange fordert, dass die Praktika aus der Sekundarstufe I zu entfernen und stattdessen gezielter vor Abschluss der Schullaufbahn zu platzieren sind.

In den Mangelfächern hat sich die Rekrutierung von Quereinsteigenden über die OBAS bewährt. Ein Erwerb der Lehrbefähigung in zwei Fächern mit entsprechender Grundbildung über die OBAS mit pädagogischer Einführung und finanziell attraktiverem VD und entsprechender Prüfung, sichert die Qualität für die dann folgende Tätigkeit. Fachwissenschaftlich notwendiges Wissen muss abgestimmt auf das jeweilige Lehramtsstudium vorhanden sein. Ein Professionsbezug mit Blick auf die Anforderungen in verschiedenen Schulstufen und Schulformen wird mit Recht von der SWK gefordert (S.9). Die Rekrutierung von Einfachlehrkräften über den Seiteneinstieg lehnt der PhV NRW ab.

Die frühe Verankerung von Orientierungspraktika ist in NRW gegeben, eine Ausweitung weder nötig noch anzuraten. Die Verankerung des Praxissemesters im Masterstudium ist vor dem Hintergrund des Übergangs sinnvoll, dabei ist in NRW also bereits eine Verzahnung von Theorie und Praxis von erster zu zweiter Phase gegeben und erprobt. Die fehlende Praxiserfahrung der universitären Begleiter wird aktuell in NRW durch die Verzahnung mit den Fachleiterinnen und Fachleitern kompensiert, denen die Studierenden fachaffin zur Betreuung von den ZfsL zugeteilt sind. Eine Stärkung der universitären Zentren halten wir daher für nicht erforderlich, eher sollte eine Stärkung der an Schulformen gebundenen Seminare innerhalb der ZfsL in den Blick genommen werden.

Genau die in Empfehlung 7 genannten Übergänge zwischen den Phasen leisten die Seminare an den ZfsL. Die Koppelung mit der ersten Phase wird über die Seminarausbilderinnen und -ausbilder im Praxissemester mit der theoretischen und praktischen Betreuung in Seminaren des ZfsL und in der unterrichtlichen Begleitung an den Schulen geleistet. Der Übergang in den selbstständigen Unterricht (SU) der Lehramtsanwärterinnen und -anwärter (LAA) wird durch die ersten drei Monate im VD fachlich und überfachlich zielgerichtet zum Kompetenzaufbau genutzt. Gleichfalls wird mit und nach der Examensphase dann an den ZfsL der Berufseinstieg fokussiert, so dass die Ausbildung an den Seminaren der ZfsL als bedeutsame und funktionierende Schnittstelle in der Professionalisierung einer Lehrkraft fungiert.

NRW kommt mit der geltenden OVP und der mehrfachen jährlichen Einstellungspraxis bereits jetzt der geforderten Flexibilisierung nach. Teilzeit als Möglichkeit im VD ist ebenso möglich. Die Begrenzung auf familiäre Gründe wäre sicherlich denkbar. Zu überlegen wäre hier, inwiefern §48 OVP außer Kraft gesetzt wird, damit bei Nichtantritt (§5 Abs 2 S.5, ohne wichtigen Grund) die Zulassung zum folgenden Zulassungsverfahren dennoch ermöglicht wird.

 

Organisation und Gestaltung einer wissenschaftsbasierten Qualifizierung von Lehrkräften für den Aufbau professioneller Kompetenzen

Die gewünschte Abstimmung zwischen erster und zweiter Phase der Lehrkräftebildung (S.11) in „curricularer, personeller und struktureller Hinsicht“ findet in NRW bereits statt, könnte aber in der Abstimmung optimiert werden. Daher ist die Forderung nach einem kohärenten Curriculum zu begrüßen (Empfehlung 8).

Alle fachlichen und überfachlichen Standards und die angestrebten Kompetenzen sind transparent in Anlage 1 der OVP mit Schulformbezug für die 2. Phase ausformuliert. Die einzelnen Fachvertretenden in allen Seminaren an den ZfsL haben hieran ihre fachlichen und überfachlichen Curricula ausgerichtet und konkretisiert. Auf diesen fußend werden die Auszubildenden vor dem Einstieg in den SU im ersten Quartal des VD vorbereitet und intensiv in den weiteren Quartalen im SU (selbstständigem Unterricht) vorbereitet.  Auch für Quereinsteiger, die in der OBAS verpflichtet sind, gilt dies, zusätzlich gestützt durch fachlich versierte Mentorinnen und Mentoren vor Ort. Diese Verbindungsstelle des VD zum Studium einerseits und zum Berufsleben andererseits erfüllt bereits die geforderte Verzahnung.

Der Eindruck, dass sich beim Quereinstieg „unter dem akuten Handlungsdruck […] sich in einem schleichenden Prozess eine Aufweichung des Leitbilds einer wissenschaftlich qualifizierten professionellen Lehrkraft“ vollziehe, ist angesichts der erprobten OBAS-Ausbildung in NRW unbegründet. Der 18-monatige VD ist kompakt und zielgerichtet auf die in der Praxis notwendigen zu erwerbenden oder vertiefenden Kompetenzen ausgerichtet. Die verlängerte vorangesetzte Zeit der pädagogischen Einführung in der OBAS ist gerechtfertigt durch den erhöhten begleitenden Praxiseinsatz an den Schulen und die verminderte Stundenzahl der theoriegeleiteten Begleitung durch Seminarausbilderinnen und -ausbilder. Auch die genannten Querschnittsaufgaben gehören an jedem ZfsL zum Standard der Module, so dass hier NRW dem gewünschten Bild voll entspricht.

Die Empfehlung 8.4, die Unterrichtsverpflichtung zumindest in der zweiten Phase zu reduzieren, fordern wir als PhV bereits seit langem. Die Reduzierung auf maximal sechs Wochenstunden SU ermöglicht den Auszubildenden mehr Reflexionsgelegenheiten, da mehr Unterricht unter Anleitung mit fachlicher Beratung erfolgt. Deutlich abzulehnen ist dabei aber die genannte Verkürzung des VD auf 12 Monate. Gerade in dieser intensiven theorie- und praxisbasierten Phase werden entscheidende Kompetenzen fokussiert erweitert und die angehenden Lehrkräfte fachlich und überfachlich auf den Berufsalltag vorbereitet. Frühestens im Masterstudium, mit i.d.R. einem Alter von etwa 20 bis 22 Jahren, entscheiden sich viele Studierende konkret für den Lehrberuf, lenken die Aufmerksamkeit auf die eigene Lehrerrolle. Trotzdem folgt dann immer noch oft der im Volksmund sogenannte Praxisschock. Die aktuell zur Verfügung stehenden 18 Monate, bzw. 24 Monate beim VD in Teilzeit, sind das Mindestmaß, das an Zeit zur Professionalisierung zur Verfügung stehen muss.

Das Einhalten von sechs Jahren, bezogen auf die Summe der ersten beiden Phasen, Studium und Referendariat, wie in der Empfehlung 8.4 gelistet, geht einher mit einer Kürzung um 6 Monate, die aus Qualifizierungsgründen nicht akzeptabel ist (s.o.). Diese Kürzung der Ausbildungszeit hielte der PhV NRW für falsch. Der letzte Punkt, eine angemessene Berücksichtigung der Examensnoten, wird in NRW bereits so umgesetzt.

 

Zu Empfehlung 9: Wir lehnen aus bekannten Gründen eine Vereinheitlichung der Lehramtsausbildungen ab.

Jede Schulform hat bekanntermaßen nicht nur eine eigene Schülerklientel, sondern auch mit den jeweilig angestrebten Abschlüssen eine eigene Zielperspektive. Dass Praxisphasen im Masterstudium deutschlandweit eingebaut werden sollten, wo sie es noch nicht sind, ist nachvollziehbar. Der Umfang von 25 Creditpoints (schulischer Praxisteil: 13 CP; Schulforschungsteil: 12 CP) für den schulpraktischen Teil bei einer Dauer von 20 Wochen/einem Schulhalbjahr liegt in NRW z.B. etwas über dem Umfang an Leistungspunkten von Baden-Württemberg (15 CP das reine Praktikum, 9 CP für die Begleitveranstaltungen in den Fachdidaktiken und Erziehungswissenshaft). An dieser Stelle wird in NRW betont, dass Universitäten, ZfsL und Schulen in enger Abstimmung arbeiten.

Die Kommunikation zwischen Schule und ZfsL funktioniert gut. Optimierungsbedarf gibt es aber bei strukturellen Absprachen mit Hinblick auf die Zentren für Lehrkräftebildung an den Universitäten, wie mehrere Beschwerden von Seiten der Praxissemesterstudierenden und der sie Betreuenden zeigen. Die Empfehlung, dieses Praxissemester durch Vermittlung von Kernkonzepten und situationsspezifischen Fähigkeiten in zwei vorausgehenden Semestern vorzubereiten, mag wünschenswert sein und wird in NRW auch durch das erste Mastersemester in Teilen erfüllt, jedoch folgt i.d.R. das 2. Semester im Master mit eben dem schulpraktischen Teil des Praxissemesters.

Als Zielgruppe zur Bekämpfung des vorübergehenden Mangels an Lehrkräften, sind hier Studierende oder Absolventen genannt, die in das Lehramtsstudium wechseln wollen. NRW bietet mit der OBAS-Ausbildung bereits ein gutes Modell, um Lehrkräfte zu gewinnen, die mit fachlichem Wissen in den zwei Jahren der OBAS mit dem fehlenden fachdidaktischen und überfachlichen Wissen fokussiert praxisbegleitend ausgestattet werden. Es geht naturgemäß vor allem um Mangelfächer, in denen Seiteneinsteiger benötigt werden. Die von der SWK genannten Mindestanforderungen (S.13) werden daher bereits erfüllt.

Ergänzend sei angemerkt, dass NRW in der Regel bewusst nicht auf Einfachlehrkräfte setzt, sondern die Möglichkeiten der Anerkennung eines Zweitfaches prüft. Wenngleich in Musik und Kunst Einfachlehrkräfte zugelassen sind und auch durch den Seiteneinstieg im MINT-Bereich Lehrkräfte mit nur einer Fakultas arbeiten, so würde dies bei den Hauptfächern bedeuten, dass sich entsprechend Korrekturaufwände akkumulieren, was eine systemisch stärkere Belastung erzeugen würde. Das erfolgreiche Ablegen der OBAS mitsamt Staatsprüfung bringt nicht nur eine Person als gleichwertige Lehrkraft in den Berufsalltag, es ermöglicht ihr zudem die gleichen Aufstiegschancen wie allen anderen Kolleginnen und Kollegen.

Seiteneinsteiger, die nur die Pädagogische Einführung absolvieren, sind entweder in ihrem Fach verfangen oder verdrängen, so sie „fachfremd“ in der Sek I eingesetzt sind, die sogenannten Erfüller aus der Sek I in die Sek II und sollten daher die absolute Ausnahme bleiben. An den Gymnasien ist der fachfremde Einsatz von Lehrkräften auch in der Sek I die absolute Ausnahme und sollte es auch bleiben, um die Qualitätsstandards und die Laufbahn zu sichern.

Vor diesen Erfahrungswerten hat sich das Modell der OBAS für den Seiteneinstieg in NRW bewährt. Eine Abgabe der Qualifizierungen für den Seiten- oder Quereinstieg an die Universitäten ist nicht ratsam, die Zusammenarbeit unter Leitung der ZfsL hat sich ebenfalls bewährt.

 

Organisation und Gestaltung forschungsbasierter Fort- und Weiterbildung zur Kompetenzentwicklung von Lehrkräften

Unsere kritischen Äußerungen in den vergangenen Jahren decken sich mit den Beobachtungen, die hier eingangs aufgeführt werden. Es fehlt nicht nur eine systematische Bedarfserfassung mit anschließender Angebotsplanung, es fehlt oft auch der Blick auf die Haupttätigkeit der Lehrerinnen und Lehrer, das Unterrichten in sich verändernden Zeiten. Das nicht nur mit Blick auf die medialen Möglichkeiten oder Herausforderungen, sondern auch auf die schulformspezifischen fachlichen und fachdidaktischen Veränderungen. So sind fachspezifische Fortbildungen leider seit vielen Jahren an den Rand gedrängt und häufig nur im Zusammenhang mit Implementationen von zentralen Prüfungen im Angebotskanon enthalten.

Daher sind einzelne Vorschläge zur Empfehlung zehn nicht von der Hand zu weisen. Unseres Erachtens kann dies nur aus der dritten Phase, nach dem Berufseinstieg, heraus geschehen. Dann allerdings nur mit geschulten und erfahrenen Moderatorenteams, die mit Ansprechpartnerinnen und -partnern der ersten und zweiten Phase zusammenarbeiten.

Eine Nachweispflicht (10.7) lehnen wir jedoch ab. Lehrkräfte haben ohnehin bereits eine Fortbildungspflicht. Im Lehrberuf sind die Aufgaben einer jeden Lehrkraft so vielfältig verteilt, die Karrierewünsche individuell sehr unterschiedlich und die Fortbildungsmöglichkeiten werden auf unterschiedlichsten Ebenen genutzt. Eine nicht eigenverantwortliche Weiterbildung gemäß persönlichen Interessen, könnte über bestimmte Vorgaben im Rahmen einer Nachweispflicht die Motivation eher bremsen, statt fördern. Die Verpflichtung zur Fortbildung umfasst beispielsweise die pädagogischen Tage sowie Schilf- oder Schelf-Fortbildungen, die neben all den individuell gewählten Möglichkeiten existieren.

Empfehlung elf betrachten wir ebenfalls sehr kritisch. Die Erfahrung zeigt, dass zum Erwerb einer Lehrbefähigung für ein weiteres Fach eine Rückkehr an die Universität selbst von den jungen Lehrkräften nicht genutzt wird, die nach dem VD aufgrund nicht gesuchter Fächerkombinationen keine Festanstellung finden. Für Leitungspositionen gibt es bereits Qualifizierungsmöglichkeiten, eine Rückführung dieser Schulungen an die Zentren für Lehrkräftebildung an den Universitäten ist realitätsfern, da dort die notwendige Expertise fehlt.

Der berufsbegleitende Erwerb über Zertifikatskurse ist eine seit geraumer Zeit genutzte Notlösung für Mangelfächer (Informatik, Mathe oder Physik Sek I, selten Sek II) oder dient der eigenen Korrekturentlastung. Diese i.d.R. einjährigen Zertifikatskurse, begrenzt auf einen Wochentag, können gar nicht die Tiefe haben, die ein mehrjähriges Studium bietet und finden in der Praxis auch ihre Grenzen. Daher sind zumindest für die Schulformen, die zur Hochschulreife führen, Ausweitungen solcher Angebote nicht erwünscht und die Einstellung von Assistenzlehrkräften mit eingeschränkten Lehrbefähigungen abzulehnen, da dies zu einer Zweiklassen-Gesellschaft innerhalb der Kollegien führen würde. Die Erfahrung aus der Vergangenheit mit den sog. „Mikätzchen“ sollte sich nicht wiederholen.

 

Länderübergreifende Strategien zur Gewinnung von Lehrkräften dürfen jedoch die Unterschiede der Situationen in den Ländern nicht ausblenden.

Allein in NRW hat sich gezeigt, dass zwischen städtischem und ländlichem Charakter, zwischen Ruhrgebiet und Münsterland, von Schule zu Schule einer Schulform, auch übergreifend andere Faktoren das Lehren und Lernen beeinflussen. Nicht zuletzt ist die Wertigkeit von Schule und Bildung in den Ländern unterschiedlich, trotz der Versuche vergleichbare Abschlüsse zu generieren. Auch die finanziellen Möglichkeiten und politische Richtungen und Strömungen in den Ländern bestimmen, inwiefern die Empfehlungen Fuß fassen können.

Mit freundlichen Grüßen

gez. Sabine Mistler
Vorsitzende des PhV NRW

[1] Der PhV NRW ist strikt gegen eine dritte „Ausbildungsphase“, wie im Gutachten der SWK verstanden, unter Kürzung des Vorbereitungsdienstes und ausschließlich für die Lehramtsanwärter. Der PhV NRW versteht die 3. Phase als wichtige und notwenige Phase der berufsbegleitenden Fort- und Weiterblidungsmöglichkeit.