Stellungnahme zum (Entwurf des) Eckpunktepapier(s) für die Weiterentwicklung der gymnasialen Oberstufe in Nordrhein-Westfalen auf Grundlage der Verbändegespräche des Jahres 2023

Kategorien: StellungnahmeVeröffentlicht: 03.06.2024

STELLUNGNAHME

des Philologenverbandes Nordrhein-Westfalen
(PhV NRW)

zum (Entwurf des) Eckpunktepapier(s) für die
Weiterentwicklung der gymnasialen
Oberstufe in Nordrhein-Westfalen
auf Grundlage der Verbändegespräche des Jahres 2023

Sehr geehrte Frau Ministerin Feller,

vielen Dank für die Möglichkeit der Stellungnahme, die wir gern wahrnehmen.

Folgend beziehen wir uns zunächst auf den einleitenden Teil des Eckpunktepapiers:

S. 11. Absatz:

Die Zielsetzung, dass künftige Regelungen „den hohen Anspruch an eine vertiefte Allgemeinbildung sichern“ sollen, ist zu begrüßen, da dies den Kern gymnasialer Bildung und insbesondere der APO-GOSt ausmacht.

S. 1 Mitte Nr. 3

Wir gehen davon aus, dass Überwindung überkommener, fachlich nicht zu begründender Formalzwänge bei Abiturfächern hier Mathematik-Bindung meint. Diese resultiert aus der KMK-Vorgabe, dass Mathematik, Deutsch, Fremdsprache zweites Abiturfach sein müssen. Hieraus lässt sich auch ein gewisser allgemeinbildender Anspruch ableiten (s. Ziel oben), aus PhV-Sicht darf dies nicht dazu führen, dass das fünfte Abiturfach diesen Anspruch aufweichen könnte. Positiv ist sicher in diesem Zusammenhang zu sehen, dass andere Fächerkombinationen möglich werden.

S. 1 letzter Absatz:

Die im Eckpunktepapier angeführten Bestrebungen Richtung einer angemessenen Balance, überzeugen uns konkret im Bereich der Belastungen und Entlastungen nicht, wenn wir die realen Vorschläge im weiteren Verlauf des Papiers betrachten. Hierzu benötigen wir konkretere Informationen. Zu befürchten ist auch, dass dann, wenn im Eckpunktepapier von „Belastung und Entlastung“ die Rede ist, eher der Fokus auf die Schülerinnen und Schüler gelegt wird als auf die Lehrkräfte. Gleichwohl ist dieser Punkt von herausragender Bedeutung. Schulorganisatorische und spezifische individuelle Entlastungen der Lehrkräfte müssen mitgedacht werden.

Im Detail:

  • Zum vermeintlichen Pro-Argument kürzere Klausurdauer: Dem steht entgegen, dass die Schülerinnen und Schüler in den Klausuren sukzessive auch an die Klausurzeiten der Abiturprüfungen herangeführt werden müssen. Die Einstellung zu einer möglichen Verkürzung wird sich auch zwischen Fächern und Fachschaften unterscheiden. Dennoch kann die Möglichkeit durch Verkürzung zu Entlastungen führen. Der PhV begrüßt ausdrücklich den Einsatz des MSB Richtung KMK, die Abiturklausurdauer perspektivisch grundsätzlich zu verringern, damit wären die Zeiten auch grundsätzlich auf die Klausurzeiten in der Oberstufe reduzierbar.
  • Zum vermeintlichen Pro-Argument neue Formen der Leistungsüberprüfung: Bereits die mündlichen Kommunikationsprüfungen in den modernen Fremdsprachen haben gezeigt, dass es hier zu Zusatzbelastungen kommt.
  • Zu verpflichtenden Projektkursen: ohne Änderung der S-L-Relation
  • Zusatzbelastung durch ein weiteres (fünftes) Abiturfach

-> Details siehe in den einzelnen Eckpunkten

Eckpunkt 1 „5. Abiturfach“

Das Ziel des Wegfalls der Mathematik-Bindung wird hier noch einmal klar herausgestellt als Argument (Kommentierung siehe oben). Positiv ist andererseits (und nicht fachlich einfach) die Möglichkeit, zwei Naturwissenschaften als Abiturfach zu wählen. Mit dieser Regelung wird u. a. die früher oft umgesetzte LK-Kombination Biologie/Sport wieder möglich.

Die Argumentation am Ende des Absatzes kann auf doppelte Weise ausgelegt werden: Einerseits kann sie im Widerspruch zum eingangs formulierten Ziel stehen, den hohen Anspruch an eine vertiefte Allgemeinbildung zu sichern. Die Ausrichtung an Schülerinteressen und -begabungen muss damit allerdings nicht zwangsläufig im Einklang stehen. Insbesondere hinterfragen wir die Intention, mit Blick auf den Prüfungserfolg eine Kompensationsmöglichkeit zu schaffen. Bedeutet „Kompensation“ hier, dass man dem Anspruch an die Abiturprüfung und das gymnasiale Bildungsziel vertiefter Allgemeinbildung eben nicht gerecht wird, sondern eine Aufweichung des Anspruchs vollzogen wird? Sollte andererseits mit der „Kompensationsmöglichkeit“ gemeint sein, dass die Wertigkeit des fünften Faches seinem Anteil an der Abiturprüfung entspricht, wie es jetzt bei der besonderen Lernleistung mit 20 Prozent der Fall ist, könnte man die Einrichtung eines fünften Faches unterstützen. Der gymnasiale Anspruch ist durch standardisierte Vorgaben und Kriterien entsprechend zu sichern.

Eckpunkt 2 „neue Abiturprüfungsformate“

Zu betrachten sind hier die Präsentationsprüfung und eine konzeptionell neu aufgestellte Besondere Lernleistung. Letztere soll, begrüßenswerter Weise, das Element der Wissenschaftspropädeutik und der individuellen Schwerpunktbildung in den Fokus rücken. Dieser Anspruch wird für die Präsentationsprüfung durch das Eckpunktepapier so nicht explizit ausgelobt, vielmehr soll hier insbesondere die Digitalisierung, also digitale Hilfsmittel, bewusst erleichternd eingesetzt werden. Der Schwerpunkt der Präsentationsprüfung liegt auf den zukunftsweisenden Kompetenzen (4 K). Allerdings soll auch die Besondere Lernleistung die digitalen Möglichkeiten nutzen und Zukunftskompetenzen berücksichtigen. Die beiden Prüfungsformate scheinen aufgrund dieser Beschreibungen in ihrem Anspruch an die Schülerinne und Schüler nicht annähernd gleichwertig. Die Gleichwertigkeit der beiden Prüfungsformate muss entsprechend sichergestellt sein.

Grundsätzlich geben wir zu bedenken, dass alternative Formen der Leistungsüberprüfung nicht zwangsläufig im Abitur realisiert werden müssen. Ggf. wären sie auch im Rahmen der Sonstigen Mitarbeit oder als Ersatz von Klausuren ausreichend. Bei asynchronen Prüfungsformaten ist zu beachten, was die KMK zum Schwerpunkt dieser Formate schreibt:

Das KMK-Papier „Lehren und Lernen in der digitalen Welt“ vom Dezember 2021 will bei asynchronen Prüfungsformaten die Reflexionsleistungen der Schülerinnen und Schüler in die Bewertung des Lernprodukts einbeziehen (S. 14): Die mündliche Prüfung soll also über das Produkt hinausgehen und sich auch auf den Lern- und Arbeitsprozess selbst beziehen. Der Schwerpunkt müsste also auf der Reflexionsleistung liegen und stets auch eine Verbindung zu Wissensinhalten aufweisen. Wichtig ist außerdem, dass die Prüfungsverfahren nicht zu aufwändig gestaltet sind (Aufgabenstellung, Rolle der Lehrkraft, Absprachen etc.). Eventuell könnte der Wegfall der Facharbeit für eine gewisse Entlastung sorgen. Die im Zusammenhang mit der Facharbeit zu vermittelnden Kompetenzen im Hinblick auf wissenschaftliches Arbeiten (Wissenschaftspropädeutik) müssen allerdings dann in den Projektkursen in ausreichendem Umfang berücksichtigt werden. Denn die Rückmeldung von den Universitäten gehen in die Richtung, dass Studierende Präsentationstechniken zwar gut beherrschen, aber Grundlagen des wissenschaftlichen Arbeitens fehlen.

Die Einführung eines fünften Abiturfachs wird sicherlich zudem zu einer Zusatzbelastung für Lehrkräfte führen. Mindestens stehen damit nach den Osterferien den Gymnasien weniger Ausfallstunden in der Q2 zur Abdeckung der Ad-hoc-Vertretung zur Verfügung, sodass die Flexiblen Mittel für die Gymnasien aufzustocken sind. Zu erwähnen ist vor allem der kurze Prüfungszeitraum durch die jeweils kurzen Halbjahre in NRW.

Mangels Detailinformationen zum Prüfungsformat Präsentationsprüfung ist auch nicht abzuschätzen, inwieweit die Themenstellung auf die Dauer gesehen Probleme bereitet. Für jeden Schüler muss wegen der häuslichen Vorbereitung ein eigenes Thema gestellt werden. Die von den Schülerinnen und Schüler erstellen Präsentationen können von diesen unmittelbar über das Internet auch der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, sodass quasi nie ein Thema erneut gestellt werden kann, denn auch wenn die Präsentation an sich nicht im Fokus der Bewertung steht, kann nicht intendiert sein, „fremde“ Präsentationen zu nutzen. Festzulegen wäre zudem, dass die Fachprüfer/-innen die Präsentationen in einem angemessen langen Zeitfenster vor der Prüfung zur Verfügung gestellt werden, um sich auf das anschließende Gespräch vorbereiten zu können und so zu sichern, dass der adäquate Umgang der Schülerinnen und Schülern mit Fragen auch niveauvoll abprüfbar ist.

Wir gehen davon aus, dass wir weitere Details zu alternativen Formaten bzw. zur Präsentationsprüfung erhalten, die uns eine fundiertere Stellungnahme ermöglichen. Zu klären ist noch die Frage, wie die verbindlichen Projektkurse mit den Präsentationsprüfungen genauer zusammenhängen sollen. Wichtig wäre die Anbindung des fünften Faches an ein reguläres, curricular abgesichertes, Fach. Zu vermeiden ist der zurzeit bestehende große Spielraum für die Projektkurse. Diese sind derzeit teilweise so speziell, dass sie nur von einem bestimmten Kollegen/einer bestimmten Kollegin unterrichtet werden können.

(S. Punkt 5)

Unklar ist auch die praktische Umsetzung der Prüfungen im fünften Abiturfach. Anders als im vierten Fach können, falls jetzt nicht auch noch Gruppenarbeit in der Vorbereitung erwünscht ist, die Prüfungen nicht in 3er-Gruppen zu einem Thema zusammengefasst werden. Der Zeitaufwand ist daher noch einmal deutlich höher als bei den mündlichen Prüfungen im vierten Abiturfach. Demnach stellt sich die Frage, wann diese Prüfungen stattfinden sollen. Bei Anbindung an das vierte Fach müssen die Gymnasien 3 bis 5 Tage unterrichtsfrei stellen. Die Durchführung in der Abiturprüfungsvorbereitungszeit oder gar davor birgt das Problem, dass Schülerinnen und Schüler eine Abiturprüfung ablegen, bevor sie zugelassen werden. Dies ist rechtlich fragwürdig.  Es ist hier auch kein Vergleich mit Sport zu ziehen, da hier nur praktische Teilleistungen, zumeist nur die Ausdauerleistung, vor der Zulassung erbracht werden.

Es muss auch die Ausbildung und Erfahrung der Lehrkräfte auf eine fachkompetenzbezogene Leistungsbewertung einbezogen werden. Bei tatsächlicher Einführung der Präsentationsprüfungen sind allen Lehrkräften diesbezüglich fachbezogen Fortbildungen anzubieten und umfängliches Informations-, Beispiel- und Hilfsmaterial zur Verfügung zu stellen. Das bisherige Prinzip bei Implementationen, dass eine Fachlehrkraft eine Implementationsveranstaltung besucht und die Fachschaft informiert, ist hier nicht ausreichend, nicht zielführend und nicht akzeptabel.

ad 3 „neue Formen der Leistungsüberprüfung“

Neue, alternative Formen der Leistungsüberprüfung dürfen nicht dazu führen, dass die Belastung für Lehrkräfte steigt. In diesem Sinne haben sich gerade die mündlichen Kommunikationsprüfungen in den modernen Fremdsprachen, anders als im Eckpunktepapier angeführt, nicht bewährt. Es müssen also in diesem Zusammenhang auch die Lehrerperspektive (zusätzlicher Einsatz einer zweiten Lehrkraft je Prüfling) sowie die schulorganisatorischen Möglichkeiten berücksichtigt werden. Die Mehrarbeit für die zweite Lehrkraft (die anders als die prüfende Lehrkraft keine Korrekturentlastung durch die Prüfung erfährt), ist als Prüfungstätigkeit nicht als Mehrarbeit abrechenbar, ebenso nicht für die ggf. Aufsichtführenden. Neue Prüfungsformate bedürfen daher klarer rechtlicher Regelungen hinsichtlich des Einsatzes von weiteren Lehrkräften und die Berücksichtigung deren zusätzliche Arbeit als Mehrarbeit. Insbesondere sind Rechtslage und Verlautbarungen auf Implementationsveranstaltungen in Einklang zu bringen.

Insgesamt fehlt es an Details zu den neuen Prüfungsformaten, um hier zu einer klaren Einschätzung zu kommen. Greift man die Beispiele aus dem Eckpunktepapier auf, so stellt sich hier die Frage, wie z.B. in einem Oberstufenkurs mit etwa 22 Schülerinnen und Schülern Präsentationsprüfungen praktisch umgesetzt werden sollen. Dies kann nicht im Unterricht erfolgen, da dieser Zeitrahmen nicht von der Unterrichtszeit weggenommen werden kann. Es ist den Lehrkräften aber auch nicht zuzumuten, 22 Präsentationsprüfungen mit ggf. Fachgesprächen außerhalb der Unterrichtszeit durchzuführen.

Während der Unterrichtszeit stellt sich das Problem, dass weiterer Unterrichtsausfall produziert wird und so (wg. Vertretungsbedarf) die Last für andere Lehrkräfte steigt, wie schon jetzt bei den Kommunikationsprüfungen. Der Ausfall des Fachunterrichts in anderen Klassen und Kursen ist im Sinne des Bildungsziels aller Schülerinnen und Schüler nicht akzeptabel.

Die Möglichkeit der Fachkonferenzen, im Rahmen der gegebenen Bandbreiten die Klausurdauer auf den unteren Rand festzulegen ist bereits jetzt gegeben. Insofern bietet das Eckpunktepapier hier keine neue Entlastung für die Lehrkräfte, insbesondere da das MSB im Zuge der Klausurdaueranpassung die Verantwortung nicht übernimmt, sondern diese an die Lehrerinnen und Lehrer bzw. die Fachkonferenzen weitergibt. Die Lehrkräfte sehen sich nachvollziehbar verantwortlich dafür, ihre Schülerinnen und Schüler an die Klausurzeiten der Abiturklausuren heranzuführen. Die Orientierung an 90 Minuten ist daher recht schwierig, solange die Abiturklausuren weiterhin die nicht nachvollziehbar viel zu langen Dauern haben (KMK-Ebene).

ad 4 „klare Profilierung und fachliche Stärke“

Dieser Eckpunkt ist vom Titel her begrüßenswert, der Inhalt lässt allerdings einiges vermissen.

Die Beibehaltung des sprachlichen und naturwissenschaftlichen Schwerpunktes ist durchaus zu begrüßen. Die Gesellschaftswissenschaften werden durch die bewährte Belegungs- und Einbringungsverpflichtung angemessen berücksichtigt. Insbesondere haben Schülerinnen und Schüler bisher wie zukünftig die Möglichkeit, zwei Gesellschaftswissenschaften durchgängig zu belegen und (anders als in den Naturwissenschaften) auch als Abiturfach zu wählen. Die Pflichtbelegungen von Geschichte und Sozialwissenschaften sind aus PhV-Sicht mit Blick auf das gymnasiale Bildungsziel wie auch die gesellschaftliche Zukunftsfähigkeit zu begrüßen.

Das Einsetzen für die Gleichstellung von Informatik mit den klassischen Naturwissenschaften sehen wir als durchaus kritisch an. Der fachliche Anspruch ist aufgrund des unterschiedlichen SI-Vorwissens unterschiedlich. Die Naturwissenschaften Physik, Biologie, Chemie müssen laut Stundentafel in der SI jeweils mit sieben bzw. acht Wochenstunden unterrichtet werden, Informatik in zwei Wochenstunden. Allein hieraus leitet sich ab, dass die Fächer nicht gleichwertig sind und die Gleichstellung daher insbesondere mit Blick auf den gymnasialen Bildungsanspruch abzulehnen ist. Wir geben darüber hinaus zu bedenken, dass die Gleichstellung zu geringeren Anwahlen der ohnehin schwächer angewählten Fächer Physik und Chemie führen kann. Ein weiterer Aspekt in diesem Zusammenhang wäre die weitere Verschärfung des MINT-Fachlehrermangels.

Die Umsetzung des fünften Abiturfaches Sport sehen wir nach jetzigem Informationsstand kritisch. Sport als Abiturfach bedingt für den PhV auch einen praktischen Anteil. Eine Präsentationsprüfung allein dürfte dem Fach nicht gerecht werden.

Offen ist für uns die Ungleichbehandlung von Literatur auf der einen Seite und Vokal- und Instrumentalpraxis (VP/IP) auf der anderen Seite. Aus unserer Sicht gibt es hier unterschiedliche Einschätzungsmöglichkeiten. Das Eckpunktepapier lässt für uns offene Fragen. Literatur soll als Grundkurs erhalten und curricular weiterentwickelt werden, VP/IP sollen zu den nicht benoteten Vertiefungskursen zählen. Dies könnte an vielen Schulen zu Einbrüchen in der Band- und Orchester-Arbeit führen, wenn die Schülerinnen und Schüler ihre meist guten und sehr guten Leistungen hier nicht in die Gesamtqualifikation einbringen können. Es stellt sich für den PhV die Frage, warum Literatur mehr wert als Musizieren hat. Man könnte sicherlich auch Vokal- und Instrumentalpraxis curricular weiterentwickeln, falls der Anspruch vermeintlich zu gering ist. So könnten alle drei Angebote als Grundkurse oder alle als Vertiefungskurse laufen. Andererseits bietet die Aufhebung der Mathe-Bindung schon eine Chance, dass sich das Fach Musik in der Oberstufe insbesondere als Abiturfach wieder etabliert, da es mittlerweile sowohl als Fach als auch als Abiturfach immer weniger angewählt wird. Die Einstufung von VP und IP als Vertiefungskurse könnte also das Fach Musik zusätzlich stärken und der gymnasiale Anspruch wäre besser gewahrt.

Beim Thema Vertiefungskurse besteht zudem grundsätzlich folgender Handlungsbedarf: Bisher kann auf dem Zeugnis nur „teilgenommen“ ausgewiesen werden. Gerade in der EF nehmen manche Schülerinnen und Schüler selten teil und erhalten dann trotzdem ein „Teilgenommen“. Besser wäre, die früher möglichen qualifizierenden Teilnahmebemerkungen wieder aufzunehmen und ebenso die Nicht-Teilnahme ausweisen zu können, mit allen rechtlichen Konsequenzen. Dies würde auch die Verbindlichkeit der Vertiefungskurse stärken.

Ebenso wesentlich wäre, um insbesondere auch die Vertiefungskurse in der Q2 in Breite wählbar zu machen, die durchschnittliche Pflichtstundenzahl 34 auf 33 abzusenken. Schülerinnen und Schüler ohne neu einsetzende Fremdsprache können dann in der Q-Phase auch einen Grundkurs durch einen Vertiefungskurs ersetzen, ohne die Mindeststundenzahl zu unterschreiten.

ad 5 „bewährte Kursarten behalten und ausschärfen“

Die Verbindlichkeit der Projektkurse ist auf Basis der bisherigen dürftigen und allgemeinen Informationslage kaum angemessen zu beurteilen. Für den PhV ergibt sich durch die verpflichtende Belegung eines Projektkurses die Notwendigkeit der Anpassung der Schüler-Lehrer-Relation, das heißt, es werden zusätzliche Ressourcen benötigt. Insbesondere Gymnasien mit kleineren Oberstufen können dies sonst nicht unter Beibehaltung eines (für Schülerinnen und Schüler) attraktiven Fächerangebots realisieren. De facto müssen viele Schulen, an denen Projektkurse bisher nicht zustande kommen mangels Schülerinteressen, nun je nach Schule bzw. Oberstufengröße 3 bis 8 zusätzliche Kurse einrichten. Dafür entfallen jedoch keine anderen Grundkurse, da ja nicht alle Schülerinnen und Schüler z. B. statt Erdkunde Politik wählen können. Vielmehr verteilen sich die Nicht-Mehr-Anwahlen auf eine Vielzahl der Fächer. Da das MSB im Eckpunktepapier beteuert (vgl. Eckpunkt 1), das fachliche Spektrum an den individuellen Interessen und Begabungen der Schülerinnen und Schüler auszurichten, kann die Lösung nicht sein, zugunsten der Projektkurse andere Kurse nicht einzurichten. Zudem würde dies die Attraktivität der kleineren (Stadtteil-)Gymnasien massiv beeinträchtigen. Das darf aus PhV-Sicht in keinem Fall passieren.

Die Projektkurse müssen also zusätzlich eingerichtet werden können und dazu muss die Schüler-Lehrer-Relation angepasst werden (vgl. anderslautende Aussage unter Eckpunkt 6). Genauso unklar ist die konkrete Umsetzung der Projektkurse. Bisher sind die Projektkurse an ein in der Qualifikationsphase vom Schüler belegtes Fach gebunden. Bleibt dies so, müssen eigentlich noch mehr als die zuvor bezifferten Projektkurse eingerichtet werden, wenn man der Linie treu bleiben möchte, sich an Schüler-Neigungen zu orientieren. Wir gehen davon aus, dass es eher so sein wird, dass Projektkurse vorgegeben werden. Dies träfe dann vornehmlich die Fächer, die von allen Schülerinnen und Schülern belegt werden (Deutsch, Mathe, Sport, mit Einschränkung Englisch). Oder man legt fest: Religion und Philosophie oder die Gesellschaftswissenschaften oder die Naturwissenschaften.

Es geht laut Eckpunktepapier darum, durch den Projektkurs auf das fünfte Abiturfach vorzubereiten. Unklar ist auch, ob fächerübergreifende Projektkurse, wie es sie zurzeit trotz Anbindung an ein Fach gibt, in Zukunft weiterhin möglich sein sollen. Das würde zu einem bunten Blumenstrauß von Projektkursen führen, ähnlich wie im aktuell völlig aus dem Ruder laufenden WP-II-Bereich in der SEK-I. Wenn man für das fünfte Abiturfach nur aus den Pflichtkurs-Fächern auswählen könnte, wäre das eine Einschränkung für die Schülerinnen und Schüler und würde die vom MSB als Argument vorgebrachte Kompensationsmöglichkeit mit Blick auf den Prüfungserfolg infrage stellen. Oder kann ein/e Schüler/in einen Projektkurs in Geschichte besuchen und dann in Erdkunde die fünfte Abiturprüfung ablegen? Das wirft Fragen zum Gleichbehandlungsgrundsatz auf, ist doch anzunehmen, dass man im Projektkurs Geschichte besser auf Geschichte als Abiturfach als auf Erdkunde vorbereitet wird. Am Gymnasium ist der Fachunterricht durch Fachlehrkräfte das Primat.

Oder ist gar der Projektkurs gedacht wie das Seminarfach in Niedersachsen (vgl.

https://www.mk.niedersachsen.de/download/4602/Das_Seminarfach_-_Hinweise_und_Empfehlungen_fuer_die_Schulen.pdf )? Das würde einen sehr großen Aufwand für die einzelnen Schulen bedeuten. Vgl. Link: „Die Fachkonferenzen beschließen in Abstimmung untereinander die Einzelheiten und koordinieren die fächerübergreifenden und fächerverbindenden Aspekte. Grundsätze beschließt die Gesamtkonferenz.“

Das ist nicht zumutbar und müsste klar zentral vom MSB vorgegeben werden. Zudem ist fraglich, wie Lehrkräfte dann quasi methodisch über alle Fächer unterrichten sollen.

Unklar ist auch, ob der Projektkurs zweistündig bleibt. Falls dem so ist, ist wie zuvor für die Vertiefungskurse beschrieben, die durchschnittliche Wochenstundenzahl der Qualifikationsphase nach unten entsprechend zu korrigieren.

Begrüßenswert ist, dass die Facharbeit in ihrer alten Form entfallen soll. Die Belastung durch die vielen umfänglichen Beratungen ist für die Lehrkräfte sehr hoch. In Zeiten von textgenerierenden KI-Systemen wie ChatGPT ist zudem fraglich, inwieweit das ursprüngliche Ziel (vgl. hier http://www.verwaltungsmanagement.info/diplomarbeit/material/Soest-Facharbeit.pdf) überhaupt erreicht wird bzw. werden kann.

Die bislang dürftige Informationslage zu den verpflichtenden Projektkursen lässt diesen gegenüber eher eine ablehnende Haltung erahnen. Was allerdings auch möglich sein könnte, ist, dass durch die Vorbereitung auf die Präsentationsprüfung bzw. auf die Besondere Lernleistung in den Projektkursen ein Ersatz von Klausuren zugunsten von alternativen Prüfungsformaten unnötig werden. Eine Reduzierung der bisherigen Klausurverpflichtungen halten wir allerdings für grundsätzlich falsch, da es den gymnasialen Anspruch senken würde. Das Eckpunktepapier weist am Ende von Eckpunkt 3 darauf hin, dass es in allen anderen Bundesländern umfassendere Klausurverpflichtungen gibt.

(Haltung zu den Vertiefungsfächern vgl. ad 4)

ad 6 „bewährte Stundenumfänge festhalten, individuelle Fördermöglichkeiten sichern und Streichergebnisse beibehalten

NRW beruft sich auf die KMK-Vorgabe von 40 zu belegenden und 36 einzubringenden Kursen. Laut KMK-Vorgabe wären jedoch auch nur weniger einzubringende Kurse möglich. Im KMK-Papier heißt es „Bei einem hohen Anteil von Kursen mit der Mindeststundenzahl bzw. Höchststundenzahl gemäß Ziffer 7.2, 3. Absatz kann hiervon um einen Kurs pro Schulhalbjahr abgewichen werden.“ 7.2 3. Absatz bezieht sich auf die Grundkurse, die in Deutsch, Mathe, Fremdsprache drei- bis vierstündig, in Biologie, Chemie, Physik dreistündig und in übrigen Fächern zwei- bis dreistündig unterrichtet werden. Demzufolge könnte man z. B. auch bei der jetzigen Situation von 35 einzubringenden Kursen bleiben.

Der Verweis des MSB, dass sich keine Veränderung im Hinblick auf die Oberstufen-Lehrkräfteausstattung ergibt, ist mit Blick auf die zuvor beschriebene Problematik im Kontext der Projektkurse ebenso wie auf die realistisch durch die neuen Prüfungsformate und das fünfte Abiturfach zu erwartenden zusätzlichen Belastungen nicht akzeptabel. Insbesondere ist auch die durchschnittliche Schülerzahl von 19,5 pro Kurs dabei beizubehalten, um die im Eckpunktepapier formulierten Ziele realisieren zu können (und natürlich auch die durch die Kernlehrpläne vorgegebenen Kompetenzen zu vermitteln).

Die ausgelobte Einheitlichkeit der GOSt von Gesamtschule und Gymnasium ist zwingend, sinnvoll wäre der Einbezug der Berufskolleg-Bildungsgänge, die auch zum Vollabitur führen, um eine echte Gleichwertigkeit des Abiturs zu erreichen.

Mit freundlichen Grüßen

Sabine Mistler
– Landesvorsitzende –