Gewalt an Schulen betrifft auch Lehrkräfte
Die Gewalt im öffentlichen Raum nimmt zu. Diese beunruhigende Entwicklung findet seit Monaten das Interesse der Bundes- und Landespolitik sowie der Medien. Im Fokus stehen dabei Vorgänge und Vorfälle an unseren Schulen. Diese bezeichnet der Vorsitzende des Philologenverbands Niedersachsen, Dr. Christoph Rabbow, zutreffend als einen Ausdruck der „Verrohung in unserer Gesellschaft“. An Vorschlägen, den Gewalttaten und den verbalen Attacken in den Klassenzimmern und auf dem Schulgelände präventiv zu begegnen, fehlt es nicht. Sie sind bekannt und werden in den meisten Bundesländern erfolgreich praktiziert.
Handlungsbedarf entsteht an anderer Stelle: Ausgangspunkt war der letzte Philologentag des PhV Niedersachsen in Goslar. Im Rahmen einer umfangreichen und engagierten Diskussion beklagten die Delegierten die stark zugenommene Gewalt gegen Lehrkräfte. Darunter ist allerdings nicht nur die physische Gewalt zu verstehen, obwohl auch diese nicht länger als „Einzelfälle“ abgetan werden kann. Darunter fallen auch Beleidigungen und Beschimpfungen im konkreten Umgang innerhalb der Schule, aber auch (und das in einem erschreckenden Ausmaß) verbale Attacken im Netz. Die niedersächsischen Philologen beließen es in Goslar aber nicht bei einer Bestandsaufnahme, und sie beschränkten sich auch nicht auf Wehklagen; sie starteten eine landesweite Umfrage.
Der PhV Nordrhein-Westfalen war hier Wegbereiter gewesen. Deren Vorsitzende Sabine Mistler, die gemeinsam mit ihrem niedersächsischen Kollegen Christoph Rabbow zu einer Pressekonferenz in Hannover eingeladen hatte, konnte von einer entsprechenden Umfrage berichten, die ihr Landesverband schon im Dezember 2023 durchgeführt hatte. In Niedersachsen und in Nordrhein-Westfalen gab es ähnliche Ergebnisse, was die bundesweite Aussagekraft noch verstärkte und wirklich Grund zur Beunruhigung und – mehr noch – zum Anlass für wirkungsvolle Gegenmaßnahmen wurde.
Der Reihe nach: An der groß angelegten niedersächsischen Umfrage beteiligten sich 950 Kolleginnen und Kollegen, die in der Zeit vor den Sommerferien 2024 bereitwillig den Fragebogen des Philologenverbands ausfüllten. Weibliche und männliche Lehrkräfte beteiligten sich gleichermaßen an der Befragung, etwa ihrem prozentualen Anteil an den Lehrerkollegien entsprechend. Die erschreckenden Ergebnisse im Einzelnen:
- 70 % der Befragten hatten nach eigenen Angaben schon einmal Erfahrung mit verbaler Gewalt gemacht.
- Knapp 21 % hatten mindestens einmal physische Gewalt erlebt (die entweder von Schülerinnen und Schülern oder von Eltern ausgegangen war).
- Unter den Gewaltvorkommnissen dominierten Beleidigungen und die Verbreitung von Gerüchten mit jeweils 68 bzw. 67 %, gefolgt von Fotomontagen, auf denen Lehrkräfte lächerlich gemacht werden sollten.
- Nur knapp 60 % hatten die sie betreffenden Vorfälle der Schulleitung gemeldet.
- Lediglich 71 % der Befragten hielten und halten die an ihrer Schule bestehenden Sicherheitsvorkehrungen für ausreichend.
- Knapp 59 % der Befragten bescheinigten ihrer Schulleitung allerdings, ausreichend auf Gewalt gegen Lehrkräfte reagiert zu haben.
- 87 % verneinten die Frage, ob das niedersächsische Kultusministerium im Rahmen seiner Fürsorgepflicht angemessen und ausreichend auf die Gewaltfälle reagiert habe.
- 86 % behaupteten, dass sich die Gewaltvorfälle „stark“ oder „sehr stark“ auf die physische Gesundheit und das Wohlbefinden der Lehrkräfte ausgewirkt habe.
- Ein Drittel der Befragten würde den Lehrerberuf nach den wahrgenommenen Vorfällen nicht noch einmal ergreifen.
Diese zum Teil schockierenden Ergebnisse, die laut Sabine Mistler auch den in Nordrhein-Westfalen ermittelten Daten entsprachen, erfordern Konsequenzen, die ebenfalls in der Pressekonferenz in Hannover zur Sprache kamen: Christoph Rabbow, gestützt von seiner Dachorganisation, dem NBB, machte dabei deutlich, was er und sein Verband nicht wollten: „Wir wollen keinen Hochsicherheitstrakt!“ Aber: Schlagende Auseinandersetzungen in der Schule sind nicht akzeptabel. Die von Ministerin Hamburg (Bündnis 90/Die Grünen) postulierte Praxis der „Freiräume“ an den Schulen verfänge hier nicht, so Rabbow. Stattdessen verlangte er ein „schlankes Konzept“ zur Gewaltprävention und zum Schutz vor Gewalt, das von Kultus- und Innenministerium gestaltet werde. Die Schule müsse wieder zu einem sicheren Ort werden.
Sabine Mistler ergänzte Daten und Fakten aus Deutschlands größtem Bundesland, wenn sie von Beschimpfungen, Bedrohungen und Cybermobbing gegen Lehrkräfte sprach, die auch (und zunehmend) von Eltern ausgingen, häufig aber dienstlich und in Kollegien nicht angemessen zur Sprache kämen. „Gewalt an Gymnasien darf kein Tabuthema sein!“ forderte Sabine Mistler. Alexander Zimbehl, der Vorsitzende des Niedersächsischen Beamtenbundes, stellte das Thema in einen noch größeren Zusammenhang: Immer mehr Berufsfelder des Öffentlichen Dienstes seien betroffen. Hier ergebe sich auch Handlungsbedarf im Hinblick auf die notwendige Nachwuchsgewinnung für die Erfüllung öffentlicher Aufgaben: „Wenn wir junge Menschen gewinnen wollen, dann müssen wir jetzt handeln!“
Der Text über Gewalttaten an Gymnasien ist in der Zeitschrift Profil, Ausgabe 9/2024, erschienen.