„Das war eine Katastrophe – da haben wir Schülerinnen und Schüler verloren“
Am 16. März 2020 wurden in der Corona-Zeit die Schulen dichtgemacht. Fünf Jahre danach wurde aus den Fehlern von damals nicht genug gelernt, sagt die Chefin des Philologenverbands NRW. Sabine Mistler über die Folgen, die die Pandemie bis heute hat, über Konsequenzen und die Rolle der Eltern.
Wären die Schulen heute besser gerüstet für eine neue Pandemie?
Mistler Schlechter als vor Corona könnten sie es kaum sein. Aber: Ja, sie wären besser gerüstet. Wir sind bei der Digitalisierung weiter. Wir haben Erfahrungen und neue Methoden für Distanzunterricht. Und ich habe die große Hoffnung: Man würde schneller Lösungen finden, um Kinder besser aufzufangen, die damit nicht gut zurechtkommen. Aber wir haben nicht genug daraus gelernt. Und zwar gerade bei der Digitalisierung.
Weil sie nicht weit genug ist?
Mistler Weil es dabei heute riesige Unterschiede gibt. An manchen Schulen haben die Kolleginnen und Kollegen gar keine Laptops, oder keinen Ersatz, wenn etwas kaputt geht. Wir haben Schülerinnen und Schüler ohne digitale Endgeräte und in einigen Landesteilen Standorte, an denen das W-Lan-Netz regelmäßig komplett zusammenbricht. Das darf so nicht bleiben. Alle Schulen brauchen gleichermaßen Zugriff auf technische Ausstattung, Lernplattformen, alle brauchen die gleichen Bedingungen. Dazu brauchen wir unter anderem endlich den Digitalpakt 2.0.
Das Förderprogramm zur Digitalisierung in der Bildung. Dafür will der Bund aber nach heutigem Plan nicht mal halb so viel Geld bereitstellen wie für den ersten Pakt während der Corona-Jahre.
Mistler Das macht uns große Bauchschmerzen. Umso mehr müssen wir den Fokus bei Investitionen auf das Wesentliche legen: auf das, was Schulen wirklich brauchen. Das sind vor allem technische Geräte für alle Lehrkräfte und für alle Schülerinnen und Schüler, die selbst keine angemessenen haben. Diese Geräte für Lehrkräfte müssen extern gewartet werden. Für die Lehrerinnen und Lehrer sind passende Fortbildungen nötig, die in die Arbeitszeit integrierbar sind. Und die Infrastruktur muss überall im Land auf den gleichen Stand kommen. Das Wichtigste ist Verlässlichkeit. Was wir nicht realistischerweise dauerhaft finanzieren können, darauf müssen wir verzichten.
Mit Blick auf die Pandemie bemängeln Sie den Arbeits- und Gesundheitsschutz – warum? Die Schulen waren doch lange zu?
Mistler Aber während sie geöffnet waren, wurden wir Lehrkräfte zu allem herangezogen. Wir mussten Schüler testen, Hygieneregeln kontrollieren, alles dokumentieren. Das hat uns überfordert. Und zusätzliche Aufgaben belasten uns noch heute: Es gibt seit Corona viel mehr Kinder und Jugendliche mit psychischen Problemen, Konzentrationsstörungen, Lücken im Lernstoff. Der Druck macht Lehrkräfte krank. Wir haben heute eine deutlich höhere Ausfallquote als früher, das zieht sich durch alle Schulformen.
Für Kinder und Jugendliche hingegen waren die Schulschließungen verheerend.
Mistler Das war eine Katastrophe. Da haben wir Schülerinnen und Schüler verloren. So eine Vereinzelung der Menschen dürfen wir nicht mehr zulassen. Während Corona hatten wir ja irgendwann Konzepte: Masken, Belüftung, Impfungen, und wir haben Lösungen gefunden, damit Kinder zum Beispiel in Turnhallen zum Lernen zusammenkommen konnten. Gäbe es die nächste Pandemie, müssten wir solche Ansätze schneller erarbeiten. Kinder nach Hause zu schicken in den Distanzunterricht und sie dort allein zu lassen, diesen Fehler dürfen wir nicht mehr machen.
Das Homeschooling war auch für reihenweise Eltern zu viel.
Mistler Das darf sich auch nicht wiederholen. Allerdings haben Eltern immer eine Mitverantwortung. Die Corona-Zeit hat uns deutlich gezeigt, dass wir manche nicht erreichen können oder sie die Verantwortung einfach nicht mittragen können oder wollen. Auch damit müssen wir anders umgehen, nicht nur im Hinblick auf eine mögliche nächste Pandemie. Die Hilfe, die manche Familien brauchen, können nicht immer Lehrkräfte leisten. Wir brauchen dafür zusätzliche Menschen an den Schulen, Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter, Psychologinnen und Psychologen zum Beispiel, die gegebenenfalls auch Eltern an die Hand nehmen.
Das gesamte Interview ist am Freitag, 14. März 2025, bei Rheinische Post online und Aachener Zeitung online erschienen.
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