„Scham und schlechtes Gewissen, von der Plage zum Nutzen“
Frauenreferentinnentag des Referats Frauen, Familie und Gleichstellung am 29.11.2025 in Dortmund
Ein schwerer Begleiter im Schulalltag
„Das Gewissen ist eine Wunde, die nie heilt und an der keiner stirbt.“ Mit diesem Zitat von Friedrich Hebbel eröffnete Jutta Bohmann, Vorsitzende des Referats Frauen, Familie und Gleichstellung im Philologenverband NRW, die Fortbildung „Scham und schlechtes Gewissen, von der Plage zum Nutzen“ in Dortmund. Viele der Teilnehmerinnen kennen Scham und schlechtes Gewissen als Gefühle, die eher belasten als helfen und sie im Alltag zusätzlich antreiben.
Wenn Kopf und Bauch nicht einer Meinung sind
Durch den Tag führte die Coachin und Trainerin Anne Bonn, Kommunikationstrainerin u.a. am Universitätsklinikum Bonn und personenzentrierter Coach. Sie knüpfte an eine Erfahrung an, die vielen vertraut ist: „Der Kopf sagt, ich müsste eigentlich kein schlechtes Gewissen haben, der Bauch sagt trotzdem: Doch.“ In dieser inneren Spannung liegt für sie der Kern vieler Schuldgefühle.
Auf der Grundlage neurowissenschaftlicher Erkenntnisse, die sie mit anschaulichen Folien verdeutlichte, zeigte Anne Bonn, wie früh im Leben Stressverarbeitungs- und Beruhigungssysteme angelegt werden. Wird dieses System überreizt oder gelingt die innere Beruhigung nicht gut, entsteht ein dauerhaftes „Hintergrundrauschen“ aus Unruhe. Aktivität, bis hin zu übersteigertem Engagement, dient dann als kurzfristige Selbstberuhigung.
Schuld, Scham und unterschiedliche Erwartungen
In den Diskussionen wurde deutlich, dass im Schulalltag häufig mehrere berechtigte Bedürfnisse gleichzeitig im Raum stehen, die der Lehrkraft, der Schulleitung, der Eltern sowie der Schülerinnen und Schüler. Wer in einer Situation mehr Einfluss oder Entscheidungsmacht hat, bestimmt oft, wessen Wunsch sich durchsetzt. Früh übernommene Rollenbilder, Jungen als durchsetzungsstark, Mädchen als lieb und angepasst, prägen innere Sätze wie „Du solltest“ und verstärken die Neigung zu Schuld- und Schamgefühlen.
Affektbilanz, Polyvagal Theorie und innere Bilder
Methodisch arbeitete Anne Bonn personenzentriert. Eine wichtige Rolle spielte die Affektbilanz aus dem Zürcher Ressourcen Modell als Entscheidungshilfe. Die Teilnehmerinnen prüften, wie stimmig eigene Vorsätze, etwa mehr Erholung oder klarere Grenzen, emotional verankert sind.
Auf der Grundlage der Polyvagaltheorie erläuterte sie, wie der Vagusnerv an der Regulation von Stressreaktionen beteiligt ist, und verwies auf entsprechende Fachliteratur zum Thema “Vagusnerv”. Wer sein eigenes Nervensystem beruhigt, gut für sich sorgt und Schuldgefühle prüft statt ihnen blind zu folgen, schafft Raum für echte Erholung und wird zur positiven Ressource für die Menschen, mit denen er lebt und arbeitet (Anmerkung der Verfasserin.) In einer geführten Traumreise entwickelten die Teilnehmerinnen innere Bilder für eine Haltung, mit der sie künftig freundlicher mit sich umgehen wollen.
Vom Erkennen zum Nutzen
In Kleingruppen arbeiteten die Teilnehmerinnen mit eigenen Beispielen und unterschieden drei Grundformen des schlechten Gewissens: unangebrachte Schuldgefühle, Konflikte zwischen berechtigten Bedürfnissen und Warnsignale, die auf etwas Ernstes hinweisen. „Zu… ist nie gut“, fasste eine Teilnehmerin zusammen, wie z. B. zu viel arbeiten, zu angepasst sein, zu streng mit sich selbst. So wurde sichtbar, dass Scham und schlechtes Gewissen nicht nur lähmen, sondern auch Orientierung geben können. Sie zeigen, wo alte Maßstäbe heute noch steuern und wo ein Wert oder eine Beziehung mehr Aufmerksamkeit braucht. In diesem Perspektivwechsel liegt der Schritt von der reinen Plage hin zu inneren Hinweisgebern.
Ein Pflaster für die Wunde
Zum Abschluss griff Jutta Bohmann das eingangs zitierte Wort Hebbels vom Gewissen als „Wunde, die nie heilt“ erneut auf. Sie betonte, dass Anne Bonn den Teilnehmerinnen an diesem Tag eine heilende Creme, ggf. mit einem schützenden Pflaster für diese Wunde mitgegeben habe: ein vertieftes Verständnis von Scham und schlechtem Gewissen, Möglichkeiten der Selbstberuhigung und Anregungen für den Schulalltag. Mit der Gewissheit, dass viele das Gelernte unmittelbar anwenden werden, entließ sie die zufriedenen Teilnehmerinnen und die Referentin in den Samstagabend.
von Cornelia Dannes