Plädoyer fürs Staatsexamen
Durch die Umstellung vom Staatsexamen auf Bachelor und Master sowie die Verkürzung des Referendariats seit 2009 habe die Lehrerbildung in Nordrhein-Westfalen massiv gelitten, kritisiert die Vorsitzende des dortigen Philologenverbands, Sabine Mistler. Das angekündigte Maßnahmenpaket zur Bekämpfung des Lehrermangels sorge vornehmlich für Lehrkräfte mit Sek-II-Fakultas für Unmut und Verzweiflung bei den Kolleginnen und Kollegen.
GiB Frau Mistler, wenn Sie an Ihre eigene Lehrerausbildung denken: Auf was möchten Sie rückblickend nicht verzichten?
S. Mistler Ich möchte die Freiheiten nicht missen, die ich in meiner universitären Ausbildung bei der Wahl der Kurse Seminare hatte. Ich hatte eine intensivere Studienzeit im Vergleich zu den Studierenden heute, weil die freie Auswahl an Seminaren Kursen größer war. Dadurch war ein größerer Kontext im Zusammenhang mit der Inhaltsorientierung und der Vertiefung der Fachlichkeit gegeben. Durch die mit der Umstellung auf Bachelor und Master einhergehenden Verschulung des Lehramtsstudiums ist das heute weniger nicht mehr möglich.
GiB Sie sprechen es an: 2009 gab es eine weitreichende Reform der Lehrerbildung in NRW, bei der u.a. das Studium auf Bachelor/Master umgestellt wurde. Wie wirkt sich das aus?
Mistler Wie bereits angesprochen sehen wir, dass durch die Verschulung des Studiums die Intensität an Fachlichkeit verloren gegangen ist. Diese Rückmeldungen hören wir von allen Schulen allen Schulformen. „Wenn ich könnte, würde ich gerne den Referendaren auch eine Note für die Fachlichkeit geben“, meinte einmal ein Seminarleiter von einem ZfsL (Anm. d. Red.: Zentrum für schulpraktische Lehrerausbildung) auf die Frage, welche Änderungen er sie sich bei der Lehrerbildung wünschen. Ähnliche Rückmeldungen bekommen ich von den Kolleginnen und Kollegen an den Gymnasien. Sie vermissen oftmals vertiefte nehmen Defizite bei den fachlichen Kompetenzen der Referendare wahr, besonders bei den Fremdsprachen fallen diese sehr deutlich aus. Dadurch wird der Fokus auf die reine Umsetzungstätigkeit im praktischen Unterricht erschwert – stattdessen muss im Referendariat zum Teil noch das Fachwissen aufgeholt werden. Darüber hinaus fand in NRW fast zeitgleich mit der Umstellung auf Bachelor und Master auch ein Wechsel weg von rein inhaltlichen Zielen hin zur Kompetenzorientierung statt. Aus unserer Sicht könnte ist in der derzeitigen Lehrerbildung diese zu stark und die Verknüpfung von Inhalten und Kompetenzen stärker zu gering ausgeprägt sein.
GiB Bei der Reform wurde auch das Referendariat von 24 auf 18 Monate verkürzt und ein Praxissemester eingeführt. Ein guter Schritt?
Mistler Die Kürzung des Referendariats halten wir für sehr kontraproduktiv gefährlich – vor allem auch vor dem Hintergrund, dass derzeit die Ausbildungszeit zu kurz kommt, weil durch die Verschulung mit Bachelor und Master nicht nur die Fachwissenschaft, sondern auch die Fachdidaktik leidet. Derzeit läuft die in der universitären Ausbildung vermittelte Didaktik nicht mit der schulischen Realität synchron. Darüber hinaus ist das verkürzte Referendariat phasenweise mit enormem Stress für die Anwärter verbunden. Das Praxissemester wiederum begrüßen wir, da es wichtig ist, dass die angehenden Lehrerinnen und Lehrer durch Praktika frühzeitig an die Schulen kommen und bereits im Studium mehr Einblick in die Praxis erhalten. Ich selbst habe während meines Studiums in Berlin ein Praxissemester absolviert und dieses als sehr gewinnbringend empfunden. Diese Rückmeldung erhalten wir nun auch von den Studierenden. Das Praxissemester ist eine gute und wichtige Sache, auch wenn man beachten muss, dass die Studierenden bei ihrem Einsatz an den Schulen besonders betreut werden müssen, was eine zusätzliche Aufgabe Belastung für die Lehrkräfte vor Ort bedeutet. Was wir uns wünschen, sind ein Praxissemester und ein 24-monatiges Referendariat. Zudem muss die Ausbildung der Lehramtsanwärter auf Schulhalbjahre bezogen erfolgen. Derzeit läuft das asynchron. Dadurch ist es schwieriger, die Referendare in den Schulalltag zu integrieren und auch für die Schülerinnen und Schüler ist die Situation unglücklich.
GiB In Bayern wird diskutiert, die Lehrerbildung – zumindest in den ersten Studiensemestern – zu vereinheitlichen, um Lehrkräfte flexibel an den Schularten einsetzen zu können. Wie schätzen Sie die Überlegung ein?
Mistler Eine schulformübergreifend einheitliche Lehrerausbildung wird aus unserer Sicht den Ansprüchen der unterschiedlichen Schulformen nicht gerecht. ist per se schwierig. Schließlich sind die Anforderungen – zum Beispiel im Fach Deutsch – in der Primarstufe nicht vergleichbar mit denen der Sekundarstufe II. Insofern ist es auch schwierig, wenn Sek-II-Lehrkräfte als abwärtskompatibel und universell an jeder Schulform einsetzbar angesehen werden. Unsere Schulpraxis zeigt, dass Lehrkräfte mit dem Lehramt Gy/GE nicht einfach in den Unterricht anderer Schulformen zu integrieren sind.
GiB Stichwort Gesamtschulen: Die gibt es in Bayern so gut wie nicht. Welche Erfahrungen machen Sie?
Mistler Das Problem ist, dass in NRW oftmals Schulformen des differenzierten Systems zugunsten von Gesamtschulen weichen müssen. Die Eltern haben somit keine echte Wahlfreiheit. Verschärft durch ein vorgezogenes Anmeldeverfahren, dass mehrheitlich Gesamtschulen durchführen dürfen, treten Gesamtschulen und Gymnasien vielerorts in Konkurrenz. So müssen oftmals die Gymnasien Schüler aufnehmen, die keine gymnasiale Empfehlung haben und auch nach der Erprobungsstufe ist es sehr schwierig, Schüler an einer Gesamtschule unterzubringen, für die die gymnasiale Laufbahn eher nicht geeignet ist. Nicht selten wechseln auch Schüler von Gymnasien an eine Gesamtschule, um einen besseren Abiturdurchschnitt zu erreichten. dort, wo Schulen des differenzierten Schulsystems abgebaut wurden, Gesamtschulen entstanden sind und immer auch eine Oberstufe anbieten. Wir haben dadurch Schüler, die nicht gymnasial geeignet sind, aber an einem Gymnasium beschult werden müssen und andererseits Schüler, die vom Gymnasium an eine Gesamtschule wechseln, um einen besseren Abiturschnitt zu erzielen. Wir wünschen uns eine tatsächliche Vergleichbarkeit beim Abitur und halten eine Diskussion über die Frage für sinnvoll, ob bei der Gesamtschule immer eine Oberstufe notwendig ist.
GiB NRW fehlen tausende Lehrkräfte. Die Landesregierung hat ein Maßnahmenpaket gegen den Unterrichtsausfall (s. Seite 8/9) auf den Weg gebracht. Sind Sie damit zufrieden?
Mistler Das Maßnahmenpaket muss aus unterschiedlichen Perspektiven betrachtet werden. Insgesamt können wir sagen, dass mit dem Paket der Unmut und die Verzweiflung der Kolleginnen und Kollegen gewachsen sind. Das liegt daran, dass diese sich bei den wertschätzenden Maßnahmen und Entlastungen nicht wirklich wiederfinden. A13 ist für uns nichts Neues, die Alltagshelfer sind für die Grundschulen gedacht und den Ersatz einer Klassenarbeit mit den ZP-10 (Anm. d. Red.: zentrale Prüfungen der Klasse 10) finden wir problematisch. Das stellt für uns weniger eine Entlastung als vielmehr einen Qualitätsverlust dar. Was wir dagegen als hilfreich ansehen, sind die Verwaltungsassistenten – wenn sie denn auch von der Verwaltungsarbeit entlasten. Gleichwohl müssen an dieser Stelle noch mehr Entlastungen erfolgen sowie schulformbezogene Konzepte erstellt werden, die leicht umsetzbar sind. Denn die Konzeptomanie belastet die Lehrkräfte bereits jetzt sehr. In der derzeitigen Situation enormer Herausforderungen an den Schulen können die Konzepte nicht wirklich gelebt werden.
GiB Wie stehen Sie zu den angedachten Änderungen bei den Abordnungen?
Mistler Das sehen wir sehr kritisch. Zum einen sind die Abordnungen der voraussetzungslosen Teilzeit an unseren Kollegien mit Ängsten belastet. Teilzeit kann an unserer Schulform nicht wirklich als Teilzeit gesehen werden, weil auch immer die Korrekturen noch dazu kommen. Am Gymnasium kommen in Teilzeit nicht einmal zwei bis drei freie Tage zustande. Auch der Einsatzradius von 50 Kilometern ist problematisch. Das sind weite Strecke, die zurückgelegt werden müssen. Klar ist auch, dass uns Abordnungen an andere Schulformen schwer treffen. Vor allem an Förderschulen wird es für uns schwierig. Dort gibt es derzeit einen großen Mangel, aber dafür ist eine Expertise erforderlich, die wir nicht haben. Ähnliches gilt für die Grundschulen, da muss Freiwilligkeit im Spiel sein. Die Motivation, Lehrer zu werden, bezieht sich meist auf eine bestimmte Schulform.
GiB Mit Ihren Erfahrungen: Was raten Sie Bayerns Verantwortlichen für die Lehrerbildung?
Mistler Ich würde raten, dass es dabei bleiben soll, wie es derzeit in Bayern ist. Das Wichtigste ist das Staatsexamen und darauf zu achten, dass die vertiefte Fachlichkeit im Mittelpunkt steht. Unsere Erfahrung mit Bachelor und Master zeigt, dass die Fachlichkeit unter der Verschulung sehr leidet. Die Fachdidaktik aus dem Studium sollte stark an eine realitätsnahe Fachdidaktik angelehnt und das Referendariat halbjahres- und schulformbezogen sein. Zudem sollte die Tatsache anerkannt werden, dass die Lehrämter durchaus differenziert werden müssen, da Arbeit und Aufgaben sehr große Unterschiede aufweisen. Eine Vergleichbarkeit ist nicht über die Anzahl von Creditpoints möglich, sondern über Fachlichkeit und Inhalte.
Das Interview ist in der Februar-Ausgabe von Das Gymnasium in Bayern (GiB) erschienen, der Mitgliederzeitschrift des Bayerischen Philologenverbandes (bpv).
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