Lehrkräfte vermissen Rückhalt ihrer Chefs
„Eine Lehrerin bekommt eine Flasche an den Kopf geworfen, ein Sportlehrer wird von einem Vater angegriffen, eine Pädagogin heimlich gefilmt — und trotzdem ahnden Schulen Vorfälle wie diesen offenbar nicht konsequent. Bei einer Umfrage des Philologenverbands NRW hat jeder zweite Lehrer angegeben, mindestens einmal Opfer von körperlicher, verbaler oder psychischer Gewalt durch Schüler oder deren Eltern geworden zu sein. Weil der Philologenverband nur Lehrkräfte aus Gymnasien und Gesamtschulen vertritt, beziehen sich die Ergebnisse auch nur auf diese Schulformen.
Der Verband hatte seine etwa 17.000 Mitglieder in NRW angeschrieben, und 1498 hatten geantwortet, Den geringsten Rücklauf gab es aus Ostwestfalen-Lippe (neun Prozent der befragten Gymnasiallehrkräfte und sieben Prozent der befragten Gesamtschulkräfte), die meisten Fragebogen beantworteten Lehrkräfte aus dem Regierungsbezirk Köln.
Die anonym durchgeführte Umfrage brachte folgende Ergebnisse: In den vergangenen drei Jahren waren an Gymnasien 53 Prozent der Befragten Opfer von Gewalt, an Gesamtschulen 76 Prozent. Auf die Frage „Wie oft?” antworteten von betroffenen Gymnasiallehrkräften 85 Prozent „selten’, von ihren Gesamtchulkollegen 58 Prozent. Zur Art der Gewalt fragte der Philologenverband seine Mitglieder, was sie selbst oder Kolleginnen und Kollegen erfahren hätten. Da bei dieser Frage mehrere Lehrer dasselbe Ergebnis in die Studie einfließen lassen konnten, haben die Zahlen nur eine verminderte Aussagekraft. Dieses vorausgeschickt machten Beschimpfungen und Bedrohungen in beiden Schulformen etwa die Hälfte der angegebenen Delikte aus.
Von Cybermobbing bei sich oder Kollegen berichtete etwa jeder zehnte Befragte. Körperliche Übergriffe hatten laut Umfrage an den Gymnasien acht Prozent der Umfrageteilnehmer selbst erfahren oder miterlebt, an den Gesamtschulen waren es zwölf Prozent. Jeder 20. Befragte kannte Fälle sexueller Gewalt — selbst erlebt oder als Erzählung aus dem Kollegium.54 Prozent der an der Umfrage teilnehmenden. Lehrerinnen und Lehrer an Gymnasien antworteten, das Sicherheitsgefühl an ihrer Schule habe sich verschlechtert. An den Gesamtschulen waren es 63 Prozent. Etwa 30 Prozent der Lehrkräfte beider Schulformen gaben an, dass latente Drohungen ihr Handeln als Lehrkraft beeinflussen. Als Quelle der Drohungen wurden an dritter Stelle die Schulleitungen genannt.
An etwa 45 Prozent der Schulen gibt es nach Angaben der Befragten kein festgelegtes Verfahren für den Umgang mit Gewalt gegen Lehrkräfte. In den meisten Fällen wenden sich Betroffene an die Schulleitung. Von der und den Bezirksregierungen erwarten viele allerdings deutlich mehr Einsatz. Zu den meistgenannten Wünschen der Lehrerinnen und Lehrer gehören „schnelles Handeln“, „kein unter den Tisch kehren“, kein Bagatellisieren, aber auch deutlich konsequenteres Durchgreifen der Bezirksregierungen und Schulministerium gegen Schüler und Eltern sowie mehr Rückgrat der Schulleitung, „die sich oft hinter die Eltern stellt und bei Strafanzeigen gegen Kollegen nicht zu denen steht“, wie es ein Teilnehmer der Umfrage formulierte. Zu den Forderungen der Lehrkräfte gehört auch eine unabhängige Rechtsberatung.
Sabine Mistler, die Landesvorsitzende des Philologenverbands Nordrhein-Westfalen: „Am meisten brennt den Kolleginnen und Kollegen unter den Nägeln, dass das Thema nicht länger totgeschwiegen werden darf – auch nicht von der Politik. Aber Ehrlichkeit sei im System noch nicht vorhanden.“
Der gesamte Beitrag zur Schulleitung als Ansprechpartner bei Gewalt ist am Samstag, 18. November 2023, im Westfalen-Blatt erschienen.
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