Schulleiter in Neuss sprechen von „respektloser Stimmung“
„Ein Schulleiter aus dem Westfälischen, der von einem Vater körperlich angegriffen wird, eine Lehrerin in Köln, die Beschimpfungen durch ihre Schüler ausgesetzt ist, ein Gesamtschullehrer, der bei einer Pausenaufsicht eine Getränkeflasche an den Kopf kriegt: Solche und ähnliche Beispiele nennt eine Umfrage des Philologenverbands NRW zu Gewalt gegenüber Lehrkräften. Das Fazit: Fast die Hälfte aller Lehrkräfte in NRW hat in den vergangenen Jahren Anfeindungen oder Angriffe erlebt. Rund ein Drittel der Gymnasiallehrer berichten außerdem, dass sie sich in den vergangenen Jahren weniger sicher fühlen, an den Gesamtschulen sind es sogar 63 Prozent. Auch in Neuss zeichnet sich diese Tendenz ab.
„Wir haben schon den Eindruck, dass der Respekt von Schülerinnen und Schülern gegenüber der Lehrkräfte abnimmt“, berichtet Achim Fischer, Sprecher der weiterführenden Schulen in Neuss und Schulleiter der Janusz-Korczak-Gesamtschule. Valide Zahlen dazu liegen zwar nicht vor. „Aber die Tendenz geht schon so ein bisschen in die ‚Wir machen unsere eigenen Regeln‘-Richtung“, sagt er. Die Umfrage des Philologenverbandes schließt sowohl körperliche als auch verbale Gewalt wie Beleidigungen oder Mobbing mit ein. Konkrete Fälle von körperlicher Gewalt seien ihm nicht bekannt, so Achim Fischer. Hier könne er jedoch auch nur für die Janusz-Korczak-Gesamtschule sprechen. Ähnliches berichten auch der Stadtelternrat und der Rhein-Kreis Neuss, der als Träger der Sonderschulen in Neuss fungiert. „Zahlen haben wir nicht“, sagt ein Sprecher des Kreises. Man sei sich aber bewusst, dass es gerade in der verbalen Richtung immer wieder zu Gewalt kommen kann.
Was es definitiv gibt, ist ein immer wieder vorkommendes respektloses Verhalten gegenüber Lehrkräften. Das berichten mehrere Schulleiter. Beispielsweise würden Aussagen wie „Halt’s Maul“ gerne mal in Konfliktsituationen geäußert, so Achim Fischer. Der Leiter der Gesamtschule Nordstadt Neuss, Lorenz Gelius-Laudam, berichtet außerdem, dass es auch zu Sprüchen wie „Du hast mir gar nichts zu sagen“, kommen würde. Die große Mehrheit der Schüler sei zwar höflich, so Gelius-Laudam: „Aber es passiert.“ Von einer zunehmenden Tendenz an Gewalt würde er nicht sprechen. „Aber ich würde sagen, dass die Probleme generell zunehmen“, so der Schulleiter. Dazu zählen Übergriffe – aber zum Beispiel auch Konzentrationsschwierigkeiten der Schüler oder ein generelles Stören des Unterrichts.
Bei der Frage, welche möglichen Unterstützungsangebote sich Lehrkräfte wünschen, reichen die Antworten der Befragung von Einlasskontrollen und Videokameras über die Einrichtung eines Sicherheitsdienstes oder der Implementierung eines Gewaltschutzbeauftragten. Größter Kritikpunkt ist aber, „dass das Thema nicht mehr totgeschwiegen werden dürfe.“ Um Betroffenen zu helfen, habe der Rhein-Kreis Neuss ein Gewaltschutzkonzept entwickelt, das an die jeweiligen Schulen in ihrer Trägerschaft angepasst wurde, so ein Sprecher. Das bedeutet zum Beispiel, dass es feste Meldeketten gibt oder Online-Meldesysteme. Und auch für die Schüler hätte ein entsprechendes Verhalten Konsequenzen, so Lorenz Gelius-Laudam. „Wenn etwas passiert, dann gibt es in der Regel eine Anhörung, zu der auch die Eltern des Kindes eingeladen werden.“ Je nach Verhalten des Schülers könnte der Konflikt so beendet werden. Bleibt die Einsicht aus, drohen strengere Maßnahmen wie beispielsweise ein Ausschluss vom Unterricht.
Und auch für Eltern kann es Konsequenzen geben. In der Umfrage des Philologenverbands kommen sie als Gewaltverursacher an zweiter Stelle, vor allem Elterngespräche würden für Unbehagen sorgen, so das Fazit. Hier wäre eine Unterstützung seitens der Schulleiter wichtig, sagt Achim Fischer. „Wenn es zu Ausfälligkeiten kommt, dann haben Lehrerinnen und Lehrer nach einmaliger Verwarnung meine vollste Unterstützung, das Gespräch zu beenden.“ Im Extremfall würde er außerdem von seinem Hausrecht Gebrauch machen – und die betreffenden Personen des Schulgeländes verweisen.
Die Befragung: Zusammensetzung An der Befragung hatten sich knapp 1500 Personen beteiligt. 79 Prozent von ihnen sind an Gymnasien beschäftigt, 17 Prozent an Gesamtschulen, fünf Prozent an anderen Schulformen. Verursacher Als Hauptverursacher wurden die Schülerinnen und Schüler genannt, danach kommen die Eltern. An dritter Stelle stehen die Schulleiter – von ihnen wünschen sich viele Lehrer mehr Unterstützung.“
Der gesamte Beitrag ist am Donnerstag, 30. November 2023, in der Neuss-Grevenbroicher Zeitung erschienen.
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