Lehrkräfte am Limit: Tausende denken laut Umfrage ans Aufgeben – Philologen: „Die Liste der Probleme ist lang“
„Einfach hinschmeißen und der Schule für immer den Rücken kehren, dieser Gedanke treibt viele Lehrkräfte in Nordrhein-Westfalen um. Das zeigen nicht nur die offiziellen Zahlen des Schulministeriums, sondern auch die Ergebnisse einer aktuell veröffentlichten Umfrage des Philologenverbandes NRW. „Es sind noch mehr Kolleginnen und Kollegen unzufrieden in ihrem Beruf als früher“, fasst Verbandsvorsitzende Sabine Mistler zusammen. „Von Optimismus keine Spur mehr.“
Zwei Drittel der Lehrkräfte an Gymnasien und Gesamtschulen in Nordrhein-Westfalen haben schon einmal ernsthaft daran gedacht, ihren Beruf aufzugeben. Das geht aus einer aktuellen Umfrage unter 3.105 Lehrerinnen und Lehrern – vornehmlich von Gymnasien und Gesamtschulen – des nordrhein-westfälischen Philologenverbandes (PhV NRW) hervor. Der PhV wollte wissen, wie es um die persönliche Zufriedenheit der Pädagoginnen und Pädagogen in ihrem Beruf bestellt ist.
„Die Ergebnisse der Umfrage haben uns erschüttert“, sagt die PhV-Vorsitzende Sabine Mistler. „Man kann es nicht anders sagen: Die Stimmung an unseren Schulen ist schlecht, die Arbeitsbedingungen sind es ebenfalls, und die Liste der Probleme ist lang.“ Hierzu zählen laut Philologenverband vor allem zu viele nichtpädagogische Zusatzaufgaben, eine überbordende Bürokratie, zu große Lerngruppen und eine hohe Korrekturbelastung. In der Folge sagt fast die Hälfte der Befragten (49 Prozent), dass sie den Beruf kein zweites Mal ergreifen würde.
Hinzu kommt, dass auf die Frage „Haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, den Beruf aufzugeben?“, 38 Prozent der Teilnehmenden mit „Ja“ geantwortet haben; weitere 33 Prozent denken zumindest gelegentlich daran, die Brocken hinzuwerfen. Nur 29 Prozent haben sich noch nie mit dem Thema beschäftigt. Die Gefahr der Abwanderung besteht nicht nur in der Theorie: Im vorigen Jahr haben nach Angaben des Schulministeriums 684 Lehrerinnen und Lehrer aller Schulformen den Schuldienst verlassen (News4teachers berichtete). 2023 waren es 930 Lehrkräfte. Die Gründe sind unbekannt, sie werden nicht erfasst. Der PhV hat sich daher im Rahmen seiner Befragung auch nach den wichtigsten Belastungsfaktoren im Lehrberuf erkundigt.
Fast alle Lehrkräfte arbeiten mehr als sie müssten
Für schlechte Stimmung unter Lehrkräften sorgen laut Umfrage hauptsächlich die entgrenzten Arbeitszeiten. Fast alle Lehrerinnen und Lehrer in NRW überziehen eigenen Angaben zufolge regelmäßig ihre Wochenarbeitszeit. Zwischen 41 und 50 Stunden arbeiten 41 Prozent der Befragten, auf mehr als 50 Stunden kommen 37 Prozent, 12 Prozent sind wöchtenlich mehr als 60 Stunden tätig. Nicht einmal jede zehnte verbeamtete Lehrkraft arbeitet nur die dienstrechtlich vorgesehenen Wochenarbeitszeit (9 Prozent).
Ähnliches gilt für Lehrkräfte, die in Teilzeit beschäftigt sind. Die Hälfte aller Lehrerinnen und Lehrer mit einer 75 Prozent-Stelle arbeitet regelmäßig bis zu 41 Wochenstunden, mehr als jede fünfte Lehrkraft in Teilzeit kommt auf mehr als 50 Stunden je Woche (21 Prozent). Bei Lehrkräften mit einem Teilzeitanteil höher als 75 Prozent verschwimmen die Grenzen zur Vollzeitstelle fast ganz – lediglich 21 Prozent dieser Teilzeitlehrkräfte bleiben unter der 41 Stunden-Grenze.
Dass die Probleme mit Arbeitsbelastung und -zeiten sich in den vergangenen Jahren eher verschärft als verbessert haben, zeigt ein Vergleich mit der bundesweiten LaiW-Studie (Lehrerarbeit im Wandel), die der Deutsche Philologenverband 2020 gemeinsam mit der Krankenkasse DAK gestartet hatte. Lange Arbeitszeiten, zu viele Zusatzaufgaben und Bürokratie nannte seinerzeit bereits die Mehrheit der rund 170.000 beteiligten Lehrkräfte als Gründe für berufliche Unzufriedenheit. „Seit der LaiW-Studie ist die Stimmung noch schlechter geworden, das zeigt unsere aktuelle Umfrage eindringlich“, sagt Sabine Mistler. „Es sind noch mehr Kolleginnen und Kollegen unzufrieden in ihrem Beruf als früher. Von Optimismus keine Spur mehr.
Mehrheit befürwortet die Einführung einer Arbeitszeiterfassung
Viele Lehrkräfte hofften daher auf die Einführung einer Arbeitszeiterfassung, so der Philologenverband NRW. 64 Prozent der Befragten sprechen sich klar für die Erfassung aus, während 20 Prozent unentschieden sind und 16 Prozent sie ablehnen. Die Befürworter:innen erwarten mehr Arbeitszeitgerechtigkeit und wünschen sich, eine gerechtere Verteilung von Aufgaben und Zusatzaufgaben sowie die Reduzierung der individuellen Belastung.
Auf der anderen Seite bestehen allerdings auch Bedenken hinsichtlich der Arbeitszeiterfassung: So befürchten einige Befragte etwa mehr Kontrollen durch den Dienstherrn, weniger Flexibilität in der Gestaltung der pädagogischen Arbeitsabläufe oder eine unangemessene Gewichtung von Tätigkeiten, sollten bestimmte Tätigkeiten pauschale Zeitbudgets zugewiesen werden. Diese Art der Zeiterfassung lehnt die große Mehrheit der Befragten ab. 58 Prozent wünschen sich stattdessen die exakte Messung der realen Ist-Arbeitszeit, inklusive der Zeiten für Vorbereitungen, Korrekturen, Elterngespräche und viele weitere pädagogische und nichtpädagogische Aufgaben, neben der Unterrichtszeiten.
Aber nicht nur die entgrenzte Arbeitszeit ist laut PhV-Umfrage ein großer Belastungsfaktor: Jeweils 13 Prozent der Befragten kritisieren die Menge nichtpädagogischer Zusatzaufgaben und die zu großen Klassen. Dicht gefolgt von Bürokratie (12 Prozent) und hoher Korrekturbelastung (11 Prozent). Jede zehnte Lehrkraft nennt die Heterogenität der Schülerschaft als Belastung, ebenso die wenige Unterrichtszeit für die Vermittlung von Fachinhalten.
Viele Lehrkräfte fühlen sich nicht ernst genommen
„Viele Kolleginnen und Kollegen halten die Rahmenbedingungen auch an Gymnasien mittlerweile für so problematisch, dass sie nicht mehr glauben, Schülerinnen und Schüler angemessen auf ein Studium vorbereiten zu können“, sagt Mistler. Knapp 80 Prozent der Befragten bejahen diesen Aspekt in der Umfrage. „Das stimmt uns insgesamt sehr nachdenklich und sollte auch den politischen Parteien im Land deutlich zu denken geben. Denn auch das zeigt unsere Umfrage: In ihrer Belastungssituation ernst genommen fühlt sich von der Politik kaum noch eine Lehrkraft.“
Nordrhein-Westfalens Schulministerin Dorothee Feller (CDU) verweist in einer Reaktion auf die Umfrage auf die bereits angestoßenen Maßnahmen, um Lehrerinnen und Lehrer zu entlasten. „Vieles von dem, was wir angestoßen haben, wirkt nicht von heute auf morgen – die Verbesserung der Situation an den Schulen ist eine Daueraufgabe“, sagt Feller laut Mitteilung des Schulministeriums. Bei ihren Schulbesuchen stelle die Ministerin immer die Frage, „wie wir die Belastungen für Schulleitungen und Lehrkräfte reduzieren können. Wir nehmen alle Anregungen mit und prüfen, was davon umgesetzt werden kann.”
Feller verweist auf 7.400 zusätzliche Menschen, die in den letzten 36 Monaten an den Schulen beschäftigt wurden. Den Abgängen stehen 12.000 Neueinstellungen, darunter mehr als 10.000 Lehrkräfte und 1.700 Alltagshelfer an Grund- und Förderschulen, entgegen. News4teachers / mit Material der dpa“
Der gesamte Beitrag ist am Dienstag, 14. Januar 2025, im Online-Portal News4Teachers erschienen.