Stellungnahme des Philologenverbandes Nordrhein-Westfalen zum Entwurf eines Gesetzes zur Sicherung von umfassenden Bildungsangeboten und zur Stärkung der Qualität von Schule (17. Schulrechtsänderungsgesetz) sowie zum Entwurf einer Siebten Verordnung zur Änderung der Ausbildungs- und Prüfungsordnung Sekundarstufe I (7.ÄVO-APO-S I)

Kategorien: StellungnahmeVeröffentlicht: 23.10.2024

Sehr geehrter Herr Bals,

vielen Dank für die Möglichkeit der Stellungnahme, die wir hiermit sehr gerne wahrnehmen.

  • 3 Abs. 3 neuer Satz 3

Vom Grundsatz her ist gegen diese Ergänzung nichts einzuwenden. Allerdings möchten wir betonen, dass diese Aussage nur dann zutrifft, wenn die Fortbildungen bzw. das Fortbildungsangebot entsprechenden Qualitätsansprüchen genügen. Aus unserer Sicht bezieht sich dies einerseits auf die Fachlichkeit und zum anderen auf die Methodik der Fortbildungen. Häufig liegt der Fokus der bisherigen Fortbildungen eher auf Austausch und Entwicklung, was bedeutet, dass die Teilnehmenden ins Gespräch kommen und dann gemeinsam etwas (gemäß Fortbildungsziel) entwickeln, es erproben und evaluieren sollen. Dieses System der „Selbstfortbildung“ lässt den wesentlichen Faktor „Input von außen“, insbesondere auch fachlichen Input in der von uns gewünschten Intensität vermissen. Zukünftig muss das Fortbildungswesen in jedem Fall den schulformspezifischen Bedarfen besser als bisher dienen. Dies muss sowohl für individuelle (Fach-)Fortbildungen als auch fachübergreifende Fortbildungen gelten. Auch sog. Querschnittsthemen, wie beispielsweise Inklusion, Integration und Digitalisierung, bedürfen durchaus schulformspezifischer Fortbildungsgestaltung. Die Lehrkräfte müssen durch Fortbildung einen Mehrwert haben, der sich auf Erkenntniszuwachs im Sinne von Wissen, Anleitungen hin zu erprobten Konzepten sowie Organisationsentwicklung ausrichtet. Das Fortbildungsangebot ist inhaltlich breit aufzustellen und für jeden entsprechend zugänglich zu machen, auch unter angemessener Berücksichtigung des jeweiligen Beschäftigungsumfangs.

Wer Fortbildung als Garant für qualitative Schulentwicklung festschreibt, muss eine qualitative Fortbildung gewährleisten und die Rahmenbedingungen dafür schaffen. Konkret müssen Fortbildung mit Dienstzeit gleichzusetzen sein und es müssen entsprechend ausreichend zeitliche Ressourcen zur Verfügung gestellt werden.

  • 15 (5) und (6)

(5) Der PhV NRW nimmt Stellung zu dieser Anpassung im Entwurf, da es uns sehr wichtig ist, auch alle Schulformen des differenzierten Systems zukünftig weiter zu stärken. Die Möglichkeiten einer optimalen Fortsetzung der Schullaufbahn nach der Grundschule müssen für alle Schülerinnen und Schüler gewährleistet sein und bei Eröffnung eines Hauptschulbildungsgangs an Realschulen für die Lehrkräfte machbar sein.

Mit der Anpassung des 12. Schulrechtsänderungsgesetzes gab es die Möglichkeit einer anteiligen äußeren Differenzierung, wenn Schülerinnen und Schüler im Bildungsgang Hauptschule an einer Realschule unterrichtet wurden. Diese äußere Differenzierungsmöglichkeit wurde zunächst von einem Drittel der Stundentafel auf hälftig (unter der schwarz-gelben Landesregierung) erweitert. Nach den uns vorliegenden Informationen konnte in den letzten Jahren aufgrund von personellen, pädagogischen und räumlichen Gründen, wenn überhaupt, nur in sehr geringem Umfang von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht werden. Somit fehlen den Realschulen mit Hauptschulbildungsgang die viel günstigeren Rahmenbedingungen der Schulen des längeren gemeinsamen Lernens, d.h., ein geringeres Pflichtstundendeputat, bessere Schüler-Lehrkräfte-Relation und mehr Beförderungsstellen.

Durch die fehlende äußere Differenzierungsmöglichkeit ist an der Realschule mit Hauptschulbildungsgang eine enorme Herausforderung für die Lehrkräfte gegeben, die die Schülerinnen und Schüler im Klassenverband nach zwei unterschiedlichen Kernlehrplänen unterrichten müssen. Damit ist die Belastungssituation für diese Kolleginnen und Kollegen enorm groß und trägt nicht zur Motivation bzw. Attraktivität der Arbeit an den so wichtigen Realschulen in NRW bei. Sollte also der Bedarf nach einem dauerhaften Angebot des Hauptschulbildungsgangs an Realschulen (durch weitere Schließungen von Hauptschulen) gegeben sein, dann muss unbedingt die Beschränkung der äußeren Differenzierung aufgehoben werden, um die oben genannten Benachteiligungen gegenüber den Schulen des gemeinsamen Lernens auszugleichen.

(6) Die Möglichkeit, unter bestimmten Voraussetzungen an Realschulen auch bereits in der Klasse 5 Schülerinnen und Schüler im Hauptschulbildungsgang aufzunehmen, dürfte im Sinne der Kinder besser angelegt sein, wenn diese auch nach den Bildungszielen der Hauptschule unterrichtet würden. Dies bedeutet dann allerdings eine, wie oben skizzierte enorme Herausforderung der Lehrkräfte.

Im Interesse der Stärkung der einzelnen Bildungsgänge und der Erhöhung der Attraktivität der Ausbildung für das Lehramt Sekundarstufe I, dürfte daher sicherlich ein Überdenken und Nachjustieren für Realschulen mit Hauptschulbildungsgang erforderlich sein.

  • 54 Abs. 3 neuer Satz 3

Die Klarstellung der Zuständigkeit ist aus Schulleitungssicht zu begrüßen.

  • 57 Abs. 3 neuer Satz 2

Wir merken an dieser Stelle sehr kritisch an, dass in der Gesamtschau des Absatzes 3 durchaus der Eindruck entsteht, dass zur Vermeidung von Unterrichtsausfall, digitale Fortbildungsformate jenseits der allgemeinen Unterrichtszeit bevorzugt zu genehmigen seien bzw. darauf hingewirkt werden sollte. „Drohender“ Unterrichtsausfall darf nicht als Argument dienen, den Lehrkräften Präsenzveranstaltungen bzw. allgemein Veranstaltungen während der Unterrichtszeit zu untersagen. Im Sinne einer qualitativen Fortbildung, so wie angestrebt, hat der Austausch in Präsenz einen nicht zu unterschätzenden Wert. Wir würden es sehr begrüßen, wenn eine entsprechende Aussage an einer Stelle in das 17. SchulRÄndG einfließt.

  • 59 Abs. 6

Das 17. SchulRÄndG wirft Fragen im Hinblick auf die rechtliche Klarheit, die Folgeabschätzung für Kollegien und die Qualität schulischer Arbeit im Bereich des Fortbildungswesens auf. Die tatsächliche Wirksamkeit der angedachten Schulentwicklungsmaßnahmen für die genannten Zwecke bleiben daher in Teilen unbewiesen.

Der Entwurf arbeitet u.a. mit einem problematischen Fortbildungsbegriff, der rechtlich nicht ausreichend hinterlegt wird. Ausgangspunkt der schulinternen Fortbildungsplanung soll demnach ein wie auch immer festgestellter „Bedarf der Schule“ an Weiterentwicklung bzw. Leistungssteigerung sein. Unter Fortbildung im Sinne des Berufsbildungsgesetzes dürfte indes grundsätzlich eine Weiterentwicklung von persönlichen Fähigkeiten und Wissen anzusehen sein, die individuell gewählt wird und in erster Linie dem Kompetenzaufbau dient. Das SchulRÄndG hebt diesen auf das Individuum bezogenen Charakter zugunsten einer verbindlichen Struktur im Kollektiv auf, ohne jedoch wünschenswerte Standards zu formulieren, die für eine rechtlich abgesicherte Fortbildungs- bzw. Organisationsentwicklungskultur notwendig wären.

Der Entwurf sieht eine schulinterne Fortbildungsplanung vor, die sich am „konkreten Bedarf der Schule“ orientiert. Diese und andere Formulierungen implizieren, dass die Schulleitung über den Fortbildungsbedarf entscheidet und die inhaltliche Ausrichtung der Fortbildungen festlegen könnte. Es muss somit sichergestellt werden, dass der konkrete Bedarf der Schule im Sinne eines partizipaitven Führungsstils im kollegialen Diskurs festgelegt wird und nicht von oben oktroyiert wird.

Unklar ist, welche Bedeutung dem individuellen Entwicklungsbedarf, der sich in der Regel aus den spezifischen Fähigkeiten und fachlichen Anforderungen der einzelnen Lehrkraft ergibt, zukommt. Stattdessen richtet sich die Fortbildung an einem allgemeinen Schulbedarf aus, der offenbar von der Schulleitung auf die einzelne Lehrkraft hin spezifiziert werden soll. Diese Herangehensweise steht im Widerspruch zu der im Berufsbildungsgesetz verankerten Definition von Fortbildung, die als durchaus selbstbestimmte Weiterentwicklung von Fähigkeiten und Wissen verstanden wird. Indem das Gesetz den individuellen Charakter der Fortbildung zugunsten einer kollektiven Verpflichtung aufhebt, wird das Fundament der Fortbildungspraxis erheblich verändert: Es wird deutlich, dass es zukünftig viel mehr um Organisationsentwicklung, denn um individuelle Fortbildung geht. Gerade diese aber ist im Sinne der Notwendigkeit der fachlichen Fortbildung vor allem für Gymnasiallehrkräfte und Lehrkräfte anderer Schulformen mit gymnasialer Oberstufe essentiell wichtig.

Darüber hinaus ist eine Verpflichtung zur Fortbildung, die über die bisherige ohnehin viel zu hohe Arbeitszeit am Gymnasium hinausginge, absolut kontraproduktiv und dürfte zur weiteren Überlastung der Lehrkräfte führen, wodurch auch die Unterrichtsqualität langfristig beeinträchtigt werden kann. Eine solche Maßnahme hätte eine Kompensation in Form von Entlastungen erforderlich gemacht, doch das Gesetz trifft hierzu keine entsprechenden Regelungen. Man kann hier zu der Schlussfolgerung kommen, dass der Dienstherr, trotz der hier formulierten gesteigerten Anforderungen an die Lehrkräfte, sich durch die Delegation von Verantwortung auf die Schulleitung einem arbeitszeitlichen Ausgleich für die Wahrnehmung zusätzlicher dienstlicher Termine entzieht.

Die wissenschaftliche Fundierung der Maßnahmen bleibt fragwürdig. Denn als argumentative Grundlage der Weiterentwicklung wird immer wieder die „Fokussierte Evaluation“ des Fortbildungswesens von 2019 bemüht, aus der auch die Erforderlichkeit der hier vorgelegten Gesetzesänderung abgeleitet wird. Dieser Evaluation aber fehlte es von Beginn an Validität. Es fehlen repräsentative Daten, die nachweisen, dass z.B. Lehrkräfte bisher nicht in ausreichendem Maße Fortbildungen besucht haben und dass die im Sinne des Entwurfs verpflichtenden Maßnahmen tatsächlich zur Verbesserung der Unterrichtsqualität beitragen.

Die pädagogische Freiheit der Lehrkräfte kann ebenfalls zukünftig erheblich eingeschränkt werden. Durch Etablierung kollektiver Formate, könnten Lehrkräfte perspektivisch dazu gezwungen werden, an standardisierten Fortbildungen teilzunehmen, die oftmals nicht den individuellen Bedürfnissen der jeweiligen Lehrkraft entsprechen. Gymnasiallehrkräften/Lehrkräfte an Schulformen mit gymnasialer Oberstufe, die spezifische Fortbildungsbedarfe aufgrund ihrer Fächerkombination haben, droht durch kollektiv formulierte Vorgaben der Verlust der Möglichkeit, ihre Fortbildungen eigenständig und bedarfsgerecht zu wählen (vgl. oben), oder diese Fortbildungsmöglichkeiten werden zu einem weiteren Add-On“, das heißt es müssen noch mehr zeitliche Ressourcen geschaffen. Die Lehrkräfte werden gegebenenfalls zu standardisierten Maßnahmen verpflichtet, die schlimmstenfalls wenig Relevanz für ihren spezifischen Unterrichtsalltag haben und damit ihre Motivation zur Teilnahme verringern.

Deutlich wird auch, dass Formen der Kooperation Auswirkungen auf Stunden- und Vertretungspläne haben und die Verweildauer von Lehrkräften in Schule perspektivisch erhöhen, ohne dass hierdurch real Unterricht abgedeckt würde. In Zeiten des Lehrermangels eine kontraproduktive Initiative, die wertvolle Lehrerarbeitskraft bindet.

Die systematische Herangehensweise an Fortbildung wird noch durch die Vorgaben zur „verbindlichen Fortbildungsplanung“ verstärkt. In § 59 Absatz 6 wird ausgeführt, dass „die Schulleitung die Fortbildungsplanung so zu gestalten hat, dass sie dem konkreten Bedarf der Schule entspricht und die Qualität der Unterrichtsarbeit nachhaltig verbessert.“ Der Begriff der „verbindlichen Fortbildungsplanung“ deutet auf eine enge Kontrolle und Steuerung durch die Schulleitung hin. Der Entwurf lässt dabei offen, wie dieser „konkrete Bedarf“ festgelegt wird und welche Möglichkeiten die Lehrkräfte haben, auf die inhaltliche Gestaltung der Fortbildung Einfluss zu nehmen. Es entsteht der Eindruck, dass die Schulleitung gegebenenfalls allein entscheidet, welche Fortbildungen für das Kollegium oder die einzelne Lehrkraft relevant sind. Diese Vorgehensweise birgt das Risiko, dass die Mitspracherechte der Lehrkräfte und des Lehrerrats erheblich eingeschränkt werden können, während die Schulleitung eine alleinige Entscheidungskompetenz über die Fortbildungsinhalte erhält. Es ergeben sich in diesem Kontext für uns konkrete Fragen:

  • Ist diese Schuljahresplanung der SL abschließend?
  • Welchen Stellenwert hat noch individuelle Fortbildung bzw. Fortbildung auf Wunsch?
  • Wie verbindlich sind die von der Lehrerkonferenz abgestimmten Grundsätze zur Fortbildung (§ 68 Abs. 3. Nr. 3)? Kann SL sich darüber hinwegsetzen und die Fortbildungsplanung nach „Schulleitungs-Belangen“ ausrichten, auch wenn dies ggf. nicht den abgestimmten Grundsätzen entspricht bzw. darin nicht enthalten ist?

Die Verpflichtung von Kolleginnen und Kollegen zur Fortbildung (ohne Antrag) ist aus unserer Sicht problematisch. Aus unserer Sicht ist diese Verschärfung unnötig, da die SL gemäß Rechtstext schon „auf die Fortbildung des Schulpersonals hinwirkt“. Dies impliziert auch, Lehrkräfte zu Fortbildungen zu entsenden.

Eine weitere Unklarheit betrifft die Frage der Qualitätssicherung. Es bleibt offen, wie die Nachhaltigkeit der Fortbildungsmaßnahmen gemessen und überprüft werden soll. Das Gesetz suggeriert, dass eine Verbesserung der Unterrichtsqualität allein durch die Teilnahme an Fortbildungen erreicht werden kann, jedoch fehlen genaue Kriterien und Instrumente zur Erfolgsmessung der Fortbildungsinhalte. Es ist unklar, wie die Wirksamkeit und der tatsächliche Nutzen der Maßnahmen für die Lehrkräfte und Schüler überprüft werden soll. Es liegt also auf der Hand, dass auch hier neuer Regelungsbedarf angelegt ist – mit weitreichenden Folgen für die Schüler- und Lehrerschaft.

  • 120 Abs. 4

Das Herausheben der Freiwilligkeit der Teilnahme der/des Einzelnen an wissenschaftlichen Untersuchungen, Tests und Befragungen ist zu begrüßen.

LABG

  • 20 Abs. 9

Die Streichung der Voraussetzung, dass mindestens eine Lehrbefähigung in einem Ausbildungsfach des angestrebten Lehramts der jeweiligen Schulform entspricht, ermöglich, allen Lehrkräften unabhängig von den Unterrichtsfächern den Wechsel an andere Schulformen (GS, HS, RS, GE). Dies ist positiv zu bewerten, da den Wünschen einzelner Lehrkräfte entsprochen werden kann und somit auch dem Lehrerbedarf der Schulformen der Sekundarstufe I Rechnung getragen werden kann.

Mit freundlichen Grüßen

gez. Sabine Mistler

– Landesvorsitzende –

STN_17.Schulrechtsänderungsgesetz_23.10.24