Warnung vor der “Einheitsschule”: Aktionsbündnis (vorneweg: die Philologen) will das gegliederte Schulsystem retten
„DÜSSELDORF. Kurz vor den Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen verschärft sich der Streit um die Zukunft der Schullandschaft. Ein Bündnis aus Lehrer-, Eltern- und Bildungsverbänden, angeführt vom Philologenverband, schlägt Alarm: Die Landesregierung untergrabe mit neuen Gesetzesänderungen das differenzierte Schulsystem – und gefährde damit Bildungsqualität, Vielfalt und die Arbeitsbedingungen der Lehrkräfte. Dagegen werden nun die Schulträger in die Pflicht genommen.
Steht Nordrhein-Westfalen vor einer Richtungswahl? Kurz vor den Kommunalwahlen im September schlägt ein breites Bündnis aus Lehrer-, Eltern- und Bildungsverbänden jedenfalls Alarm: Das differenzierte Schulsystem sei in Gefahr. An der Spitze der Bewegung: der nordrhein-westfälische Philologenverband (PhV). Unter dem Motto „Vielfalt erhalten – Bildungsqualität fördern“ ruft das von ihm angeführte „Aktionsbündnis Schule NRW“ die Kommunalpolitik dazu auf, einen wahrgenommenen Trend zur Vereinheitlichung der Schulstrukturen zu stoppen – und das gegliederte System mit Gymnasien, Realschulen, Hauptschulen, Berufskollegs und Förderschulen zu bewahren. Die fast 400 Gesamtschulen, die es in NRW gibt, werden dabei nicht erwähnt.
Obwohl Gymnasien, Realschulen und Berufskollegs nach wie vor großen Zulauf haben, werde die Forderung nach einer „Einheitsschule“ immer wieder laut – heißt es. Für den Philologenverband ist das ein Irrweg. „Heterogenität hat ihre Grenzen. Die Vorstellung, alle Leistungsniveaus in einer Lerngruppe oder Klasse gleichwertig zu fördern, ist illusorisch“, sagt PhV-Vorsitzende Sabine Mistler. Bildungspolitik dürfe sich nicht an „Gleichmacherei“ orientieren, sondern müsse passgenaue Angebote sichern.
Auch das Aktionsbündnis, dem neben dem Philologenverband unter anderem die Landeselternschaft der Gymnasien, die Rheinische Direktorenvereinigung und der Verband der Lehrerinnen und Lehrer an Berufskollegs angehören, warnt entschieden vor Strukturreformen. In seiner Erklärung heißt es: „Das ,Aktionsbündnis Schule‘ ist überzeugt, dass mit der Abschaffung bewährter Strukturen keine der drängenden Herausforderungen im Schulsystem behoben werden kann. Die ,Eine Schule für alle‘ ist keinesfalls geeignet, den individuellen Lernvoraussetzungen, Neigungen und Interessen der Schülerinnen und Schüler Rechnung zu tragen.“
Zentrale Kritik richtet sich gegen eine Änderung des Schulgesetzes, mit dem die schwarz-grüne Landesregierung den Weg für Hauptschulbildungsgänge an Realschulen freigemacht hatte. Pädagogisch sei das ein Fehler, urteilen die Verbände. Schon heute gibt es landesweit knapp 20 solcher Realschulen mit integriertem Hauptschulzweig.
Der Philologenverband warnt vor gravierenden Folgen für die Unterrichtsqualität. Die parallele Beschulung nach zwei Lehrplänen im gleichen Klassenverband führe „zu Qualitätsverlust und erhöhten Belastungen von Lehrkräften“. „Mit Sorge blickt das ,Aktionsbündnis Schule‘ auch auf die an Gesamtschulen zunehmend zu beobachtende Praxis, die pädagogisch gebotene äußere Differenzierung aufzugeben“, heißt es in der Erklärung. Und weiter: „Allen Leistungsniveaus gerecht zu werden und doch Leistung zu fördern, kommt der Quadratur des Kreises gleich.“ Der Verband lehrer nrw, der Realschullehrkräfte vertritt, spricht von einer „pädagogischen Verirrung“. Er verweist darauf, dass Lehrkräfte an den Realschulen mit Hauptschulbildungsgang gleichzeitig nach zwei Lehrplänen unterrichten müssten – eine strukturelle Überforderung, die Unterrichtsqualität blockiere. (…)
Allerdings betont auch sie, dass die Rahmenbedingungen für die Lehrkräfte nicht angepasst würden – und warnt: „Die entstehende Mehrarbeit wird nicht aufgefangen in Form einer angedachten Entlastung. Das bedeutet, dass die bereits gelebte strukturelle Mehrarbeit der Beschäftigten erhöht und einkalkuliert zu sein scheint.“
Das Aktionsbündnis hingegen verweist ausdrücklich auf die Stärken der einzelnen Schulformen. „Der Bildungsauftrag des Gymnasiums ist bestimmt von den Zielen der Wissenschaftspropädeutik, der allgemeinen Studierfähigkeit und der vertieften Allgemeinbildung. Das Gymnasium ist eine Schule für viele, aber nicht für alle.“
Ebenso wichtig seien Haupt- und Realschulen: „Es bedarf einer bewussten politischen Entscheidung der Kommunalpolitik, das Ansehen und die Bedeutung der an Realschulen und Hauptschulen erworbenen Abschlüsse zu stärken und die Bedeutung dieser Schulformen für erfolgreiche Bildungsbiografien zu würdigen.“ Vor allem vor dem Hintergrund des zunehmenden Fachkräftemangels in Handwerk, Technik und im Dienstleistungssektor seien diese Schularten unverzichtbar.
Auch Berufskollegs und Förderschulen sieht das Bündnis als tragende Säulen: „Die Berufskollegs bieten jedes Jahr für über 200.000 Absolventinnen und Absolventen der Sekundarstufe I vielversprechende Anschlussperspektiven, egal ob in einer dualen Berufsausbildung, beim Erwerb weitergehender Schulabschlüsse verbunden mit beruflicher Handlungskompetenz oder in der Weiterbildung. Schließlich müssen Förderschulen erhalten bleiben, damit Eltern von Kindern mit besonderen Förderbedarfen eine echte Wahlfreiheit haben.“
Besonders die Kommunen werden von den Verbänden in die Pflicht genommen. „Der Weg zur Förderung der Bildungsqualität und zur Stärkung der Bildungsgerechtigkeit führt über die Bereitstellung differenzierter Bildungsangebote und vielfältiger Anschlussperspektiven in den allgemeinbildenden Schulen und in den Berufskollegs“, heißt es – die kommunalen Entscheidungsträger werden aufgefordert, „sich dem Trend zur strukturellen Vereinheitlichung entgegenzustellen und bewährte Schulformen des gegliederten Schulwesens zu erhalten.“
„Nur eine hohe Qualität differenzierter und individuell passender Bildungsangebote in einer Kommune ist attraktiv für junge Familien“, so die Erklärung des Aktionsbündnisses.
Der gesamte Beitrag ist am Mittwoch, 20. August 2025, im Online-Portal News4TEachers erschienen.
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