Fortbildungstag des Referats Frauen, Familie und Gleichstellung am 15.9.2025
„Starke Identitäten statt starre Rollen: geschlechterreflektierende Verantwortung in muslimischen Lebenswelten“ titelte Prof. Dr. Korchide in seinem Impulsvortrag seine Auseinandersetzung mit religiösen und kulturellen Problemen in unserer Gesellschaft und immer häufiger in Schulen. Seine Diagnosen sind erfahrungsgestützt durch Befragungen von Schülerinnen und Schülern im islamischen Religionsunterricht der Sekundarstufe I und wurden ergänzt durch vielfältige Erfahrungen der anwesenden Kolleginnen. Vor allem tradierte männliche Rollenmuster bestimmen nicht selten die Identitäten und Identifikationen Heranwachsender: Prägend ist neben dem Elternhaus der social media–Konsum. Manipulierend wird dort Jungen ein Männlichkeitsbild vermittelt, das zu widersprüchlichen Mustern und Werten führt, bei Mädchen zu Ärger und Ablehnung auslöst und ratlose Lehrende überfordert. Klassisch sind Vorstellungen von männlicher Kontrolle, alleiniger Verantwortung, nicht selten übergriffiger Stärke, vermeintlicher Überlegenheit, Gewalt und Härte gegenüber dem weiblichen Geschlecht. Gleichstellung, Gleichberechtigung, Homosexualität werden in diesem Gottes-, Menschen- und Weltbild als westliche, unislamische Häresien bekämpft. Eine intensive Beschäftigung mit Aussagen im Koran und der teils untheologischen Auslegungen durch religiöse „Autoritäten“ in Moschee und Internet sei notwendig, um die Hintergründe dieser Überzeugungen zu erkennen und mögliche präventive und pädagogische Lösungen zu finden.
In der Arbeit mit jugendlichen Strafgefangenen, die z.B. gewalttätige Aktionen und Anschläge planten, entwickelte Korchide theologisch fundierte Gegenmodelle und praxisnahe Angebote für die Jugendarbeit, die er an anschaulichen Beispielen darstellte. Es wurde deutlich, wie notwendig das theologische Fachwissen zur Entwicklung von Alternativen ist. Die Rede vom barmherzigen Gott, der den Menschen zur Freiheit schuf, bedeutet dabei eine christlich-muslimische Konvergenz: „Kalif“-Sein heißt: „Ebenbild“, Vertreter, Statthalter Gottes sein. Die Antwort Gottes auf die Theodizeefrage, warum Gott nicht rettend eingreife und Leid beseitige, laute daher: „Ich appelliere an euch, greife aber nicht ein“, d.h. die Aufgabe an den Menschen, „Hand Gottes“ zu sein, realisiere die Barmherzigkeit. Gott gehe damit durchaus das Risiko ein, dass der Mensch seine Freiheit missbrauche.
In seiner Gesprächsmethode der „Großerzählung des Islams“ ist das Fundament die wertschätzende Anerkennung von islamischen Glaubensaussagen, die aufseiten der Jugendlichen in ein irritierendes Dilemma führen, Feindbilder aufbrechen und ein Umdenken bewirken können: Die „Feinde des Islams“ werden zum Phantom, denn sie erkennen diesen an, sie weisen auf die positiven schönen Aussagen hin.
Diese Gesprächsmethode gilt es einzuüben.
In bestimmten Situationen empfiehlt Korchide eine konsequente Haltung, sich nicht den fundamentalistischen Narrativen zu unterwerfen und diese stattdessen mit Sanktionen zu ahnden, denn: muslimische Heranwachsende reagierten stark auf die Androhung von Konsequenzen ihres Handelns. Schulen sollten nicht den Fehler machen, ihre Autorität untergraben zu lassen durch angebliche Vorwürfe von islamfeindlichen, rassistischen Meinungen und Handlungen der Lehrenden. Dies führe zu einer immer weitergehenden Machtposition der Jungen.
Grundlage allen Handelns sollte das dialogische Prinzip sein: Diskussion und Gespräch, aber auch pädagogische Klarheit statt monologischer Vorgabe von Glaubenssätzen und entsprechenden moralischen Folgerungen.
Dr. Britt Ziolkowski vom Bundesamt für Verfassungsschutz referierte zur Herausforderung durch „Frauen im Salafismus“.
Sie stellte fest, dass ein Wandel zu beobachten sei: Auch Frauen werden in der Netz“öffentlichkeit“ aktiv, ohne dadurch die Regel zu verletzen – die von ihren Männern geforderte Existenz hinter den eigenen Wänden wird auf verschiedene Weise eingehalten und gleichzeitig aufgebrochen. In den sozialen Medien können Mädchen und Frauen in die Welten von Influencerinnen eintauchen. Durch Avatare oder durch unterschiedliche Verschleierungsarten bieten sie Identifikationsmöglichkeiten, Lebensberatung oder religiöse Bildung bis hin zur magischen Heilung von Teufel und bösen Geistern. Auch hier werden durch Mittel gefährlicher Manipulation labilen Persönlichkeiten vermeintliche Orientierungen angeboten, die gefährlich werden können. Veranschaulicht wurden diese Gefahren an kurzen Videoausschnitten, die auf Wirkung des Auftretens und ihre Botschaften untersucht und diskutiert wurden. Eine besondere Botschaft verkündet z.B. Hanna Hansen, ehemaliges Model, DJ und Ex-Kickboxweltmeisterin und seit 2024 Mitglied der Salafismusszene. Mit sanfter Stimme lädt sie zu Treffen ein, mit religiösen Floskeln in arabischer Sprache signalisiert sie die innere Kenntnis von Geheimnissen und die Erleuchtung zum richtigen Weg.
Die Determinanten des Frauenbildes sind im weltweit agierenden, vielfältigen Salafismus identisch: Heteronormativität, Heterosexualität und Kollektivismus („umma“, Gemeinschaft der Glaubenden), Ablehnung der Homosexualität; Frauen sind immer Sexualobjekt, damit eine Gefahr für die Männer und daher zu verschleiern, eindeutige (Bekleidungs-) Regeln sind zwingend einzuhalten. Frauen als Subjekte ihres Lebens sind nicht vorgesehen.
Die deutschen Sicherheitsbehörden haben sich lange auf die Beobachtung der männlichen Salafistenszene konzentriert und deshalb die Macht der Frauen lange unterschätzt. Seit einiger Zeit aber ist die Einflussnahme der Frauen erkannt.
Abschließend wurde deutlich, dass beide Themen mit Prof. Korchide und Dr. Ziolkowski bei nachfolgenden Fortbildungen weiter intensiviert und nachhaltig vertieft werden sollen. Die Teilnehmerinnen erhielten wertvolle Informationen, sie konnten ihre Erfahrungen schildern und praktisch anwendbare Lösungsmöglichkeiten erkennen.
In weiteren Arbeitskreisen „Vollzeit – Teilzeit – Beurlaubung und die finanziellen Folgen“ (Frau Wedemeier, Vorsitzende der DSTG, Finanzamt Mülheim) und „Eigene Ressourcen erkennen und nutzbar machen“ (Frau Söder, PhV NRW, RFFG, OStR‘) erhielten die Teilnehmerinnen wichtige Informationen zu biographischen Entscheidungen.
Ein insgesamt hochspannender, interessanter Tag, hervorragend vorbereitet und moderiert von Jutta Bohmann. Gespannt darf die Fortsetzung erwartet werden!