Stellungnahme zum Kernlehrplan Informatik in den Klassen 5 und 6 (Entwurf Verbändebeteiligung vom 19.02.2021) für die Sekundarstufe I Gymnasium in Nordrhein-Westfalen

Kategorien: Aktuelles, StellungnahmeVeröffentlicht: 12.03.2021

Der PhV NW nimmt im Folgenden Stellung zum Kernlehrplanentwurf für das Fach Informatik für die Klassenstufen 5 und 6:

Der Kernlehrplanentwurf passt im Hinblick auf Struktur und Kompetenzorientierung in überwiegenden Teilen zu den Kernlehrplänen der Sekundarstufe I. Die übergeordneten Kompetenzbereiche sind stark an die Kompetenzen des Wahlpflichtfaches Informatik der Mittelstufe, sowie der Oberstufe angelehnt und decken sich zum Teil mit diesen. Auch die Inhaltsfelder lassen sich, bis auf das maschinelle Lernen und die künstliche Intelligenz, so in der Mittel- und Oberstufe wiederfinden.

Zu 1. Aufgaben und Ziele des Faches

Anders als im Kernlehrplan des Wahlpflichtfaches Informatik wird hier die Sprache als notwendiges Hilfsmittel „für den Erwerb einer ökonomischen und politischen Mündigkeit“ (S. 8) hervorgehoben.
Die ‚Selbstständigkeit‘ und ‚informatische Problemlösekompetenz‘ (KLP-WP-IF, S. 9) sollte aber auch hier von besonderer Bedeutung sein.

Zu 2. Kompetenzbereiche, Inhaltsfelder und Kompetenzerwartungen

Zu 2.1 Kompetenzbereiche

Im Kompetenzbereich Argumentieren wird im vorliegenden Entwurf nur erwartet, dass die Lernenden befähigt werden, „[..] eine eigene Position zu vertreten und vorgegebene [..] Modelle nach ausgewiesenen Kriterien [..] zu bewerten“ (S. 11).
Die Ergänzung „dabei werden Argumente anderer aufgenommen, überprüft und gegen den eigenen Standpunkt abgegrenzt. Erläutern, Begründen und Bewerten befähigen die Lernenden eine nur intuitive oder spielerische Ebene [..] zu verlassen.“ (KLP-WP-IF, S. 13) wäre auch hier in Bezug auf den Anspruch an gymnasiale Bildung eine wünschenswerte Ausdifferenzierung des vorliegenden Entwurfes.
Die im Bereich Modellieren und Implementieren intendierte Vermittlung von Fähigkeiten im Programmieren kann in diesen Jahrgangsstufen nur mit geringem Komplexitätsgrad erfolgen. Es heißt in der Begründung zum Verordnungsentwurf zur Einführung der Fächer Wirtschaft und Informatik (Vorlage 17/3093): „Damit Schülerinnen und Schüler bestmöglich auf die Anforderungen einer zunehmend von Informationssystemen geprägten Lebens- und Arbeitswelt vorbereitet werden, ist neben der Vermittlung von Medienkompetenzen und Fähigkeiten zum Anwenden und Bedienen digitaler Systeme insbesondere das Verständnis der zugrunde liegenden informatischen Konzepte von großer Bedeutung, um die Wirkungsweise sowie Nutzen und Gefahren solcher Systeme verstehen und bewerten zu können.“ Diese Zielsetzung soll durch „die Entwicklung und Implementierung von informatischen Modellen“ umgesetzt werden, indem die Lernenden „den informatischen Kern einer Problemstellung finden“ und „in ein prozessgesteuertes Gerät übertragen“.

Diese Umsetzung überfordert aus pädagogischer Sicht Schülerinnen und Schüler der Erprobungsstufe, zumal dies für viele der einzige Informatikunterricht der weiterführenden Schule ist. Das hier gesetzte Ziel ist aufgrund des altersmäßigen Abstraktions- und Reflexionsvermögens in seiner Umsetzung nur auf einem unbefriedigendem und mit dem gymnasialen Bildungsziel nicht zu vereinbarendem Niveau realisierbar.

Aus diesem Grund sollte die Kompetenz des Implementierens auf spätere Klassenstufen, z.B. auf den Wahlpflichtbereich, verschoben werden, damit das notwendige Abstraktionsvermögen ausgeprägt ist und insbesondere das Variablenkonzept keine Überforderung mehr darstellt.
Stattdessen sollte im Bereich des Modellierens die Kompetenz „Analysieren“ ergänzt werden, auf die hier bis jetzt gänzlich verzichtet wird.

Diese stellt jedoch eine grundlegende Kompetenz zur Lösungsfindung dar und ist für die Modellierung als Vorstufe zur Implementation unabdingbar.
Die oben genannte Zielsetzung könnte aber sehr wohl durch die Verbindung von Algorithmen und Automatisierung erreicht werden, ohne dabei eine Implementation bzw. „Übertragung in ein prozessgesteuertes Gerät“ zu benötigen.

Die Bereiche Darstellen und Interpretieren und Kommunizieren und Kooperieren sind aus Sicht des PhV NW gut gelungen.

Zu 2.1 Inhaltsfelder

Das Gymnasium hat gemäß § 16 Abs. 1 SchulG den Auftrag der vertieften allgemeinen Bildung. In diesem Sinne weist der PhV NW darauf hin, dass die in dem Kernlehrplanentwurf für das Fach Informatik in den Klassen 5 und 6 vorgesehenen Inhaltsfelder einen zu großen Umfang besitzen, um einzelne Themen mit ausreichender Tiefe zu behandeln.

Grundsätzlich ist hier in Frage zu stellen, ob in circa 80 Wochenstunden die fünf vorliegenden Inhaltsfelder so in ihrer Tiefe bearbeitet werden können, dass das Ziel einer nachhaltigen Vorbereitung der Schülerinnen und Schüler auf die (digitale) Lebens- und Arbeitswelt erreicht werden kann.

So ist bei dem in der Auftaktveranstaltung am 25.2.2021 genannten Freiraum von 20% der Unterrichtsstunden damit zu rechnen, dass z.B. jede genannte konkretisierte Kompetenz maximal 1,5 Wochenstunden thematisiert werden kann. Dies ist im Hinblick auf die zu verwendenden kooperativen Lernformen und den konstruktiv-kritischen Blick, den Schülerinnen und Schüler entwickeln sollen, schlichtweg unmöglich.
Auch die auf Seite 8 erwähnten „Freiräume für Vertiefung, schuleigene Projekte und aktuelle Entwicklungen“ ist so nicht vorstellbar.
In diesem Zusammenhang und in Anbetracht des Entwicklungsstandes von Schülerinnen und Schülern in der Erprobungsstufe erscheint es daher geboten die komplexeren, bzw. für die Altersgruppe zu komplexen inhaltlichen Schwerpunkte gänzlich aus dem Kernlehrplan zu streichen. Diese Streichung bezieht sich vor allem auf die Benutzung des Variablenkonzeptes und das Maschinelle Lernen bzw. die Künstliche Intelligenz.
In diesen Feldern würden nur mit spielerischen Ansätzen erste Einblicke ermöglicht, die aufgrund der fehlenden Nachhaltigkeit das Ziel der Vorbereitung auf die Lebens- und Arbeitswelt der Schülerinnen und Schüler verfehlen würden. Insbesondere sind auf diese Weise keine grundlegenden Strukturen erreichbar.

Auf diese Weise könnte ein größerer Schwerpunkt auf gut für die Zielgruppe aufbereitbare Inhalte wie Automaten gelegt werden. Dies bietet sich insofern an, als dass hier z.B. der Aufbau der Grammatik einer (Fremd-)Sprache als Automat dargestellt werden kann und im weiterführenden Informatikunterricht über die formalen Sprachen die Möglichkeit zur spiralförmigen Anbindung besteht.
Auch die Anbindung an das Feld Informatik, Mensch und Gesellschaft ist durch die Chancen und Risiken, sowie den Nutzen und die Grenzen der Automatisierung gewährleistet.

In diesem Zusammenhang sollte der letzte Satz des Abschnittes zu Algorithmen gestrichen werden (S. 13 zweiter Satz).
Der Absatz zur Automatisierung müsste ab dem 4. Satz entsprechend neu gestaltet werden. Hier sollte der Fokus dann auf die dort verwendeten algorithmischen Strukturen liegen und die fächerverbindende Komponente zu den (Fremd-)Sprachen aufgezeigt werden.

Diese Veränderung würde auch die unbefriedigende Einbindung der gesellschaftlichen Herausforderungen im Zusammenhang mit künstlicher Intelligenz im Absatz Informatik, Mensch und Gesellschaft (insbesondere in 2.2) aufheben.

Zu 2.2 Kompetenzerwartungen und inhaltliche Schwerpunkte

Positiv hervorzuheben ist, dass der Kernlehrplan den Schulen genügend Freiräume in der konkreten Ausgestaltung der einzelnen Kompetenzbereiche und Inhaltsfelder lässt. So ist beispielsweise keine Programmiersprache oder die Benutzung eines bestimmen Informatiksystems vorgeschrieben.

Der PhV NW stellt fest, dass eine Übersicht zur Anbindung der einzelnen Kompetenzerwartungen an den Medienkompetenzrahmen NRW sinnvoll wäre und begrüßt daher die mündliche Aussage vom 25.2.2021 bei der Auftaktveranstaltung der QUA-LiS, eine entsprechende Synopse im Lehrplannavigator zu veröffentlichen, wie es bei anderen Kernlehrplänen bereits geschehen ist.

Zu 2.2 Übergeordnete Kompetenzerwartungen

Im Bereich Argumentieren ist fraglich, was mit der Erwartung „…bewerten ein Ergebnis einer informatischen Modellierung“ gemeint sein soll. Ebenso wie in der Mathematik kann ein Ergebnis nur richtig oder falsch sein. Dies kann hier jedoch nicht gemeint sein. Statt dessen scheint hier eher die Erwartung „…bewerten die Korrektheit der Modellierung eines Sachverhaltes“ adäquat zu sein.

Im Zusammenhang mit den Bemerkungen zu Modellieren in 2.1 sollte im entsprechenden Bereich unter 2.2 der erste Punkt heißen „Die Schülerinnen und Schüler erstellen und analysieren informatische Modelle [..]“
Die Kompetenz „implementieren [..] unter Verwendung algorithmischer Prozesse“ ist aufgrund der alters- und entwicklungsbedingten Überforderung (siehe Bemerkungen zu 2.1) zu streichen.
Analog ist „und Implementierungen“ im dritten Punkt zu streichen.

Die Punkte Darstellen und Interpretieren und Kommunizieren und Kooperieren sind aus Sicht des PhV NW auch hier gut gelungen.

Die Benennung der Inhaltsfelder (S. 15) ist entsprechend der Anmerkungen zu der Ausgestaltung der Inhaltsfelder in 2.1 abzuändern.

Zu 2.2 Konkretisierte Kompetenzerwartungen

Der PhV NW begrüßt, dass am 25.02.2021 und in der zur Verfügung gestellten Präsentation ein Beispiel zur Anbindung der Verbraucherbildung gezeigt wurde.

Eine Übersicht zur Anbindung der Rahmenvorgabe Verbraucherbildung an die einzelnen Kompetenzen und Inhalte im Kernlehrplan Informatik 5/6 wäre auch hier sinnvoll und wünschenswert.

In den konkretisierten Kompetenzerwartungen im Bereich Information und Daten ist positiv hervorzuheben, dass die Kompetenz der Bewertung von Verschlüsselungsverfahren an den Aspekt der Sicherheit angebunden wurde.

Eine solche Anbindung – sollte der Forderung der Streichung der Implementation nicht nachgekommen werden – ist im Bereich der Algorithmen (Seite 17) bei der Bewertung des Ergebnisses einer Implementation dringend erforderlich, da zur Bewertung sonst nur das Kriterium der Korrektheit vorliegt. In diesem Zusammenhang ist hier der Begriff „Ergebnis“ irreführend.
So sollte diese Kompetenz zum Beispiel statt dessen heißen: „bewerten die Implementation im Hinblick auf Korrektheit in Bezug zum Kontext“.

Zudem sollte im Bereich Algorithmen die Kompetenz „implementieren [..] unter Verwendung des Variablenkonzepts“ ersatzlos gestrichen werden (s.o.). Der Einsatz von Variablen kann für Lernende in der Erprobungsstufe noch nicht greifbar sein, da das Abstraktionsvermögen sich erst ab dem 12. Lebensjahr entsprechend entwickelt.  (Vergleiche dazu den Aufbau des Kernlehrplans Mathematik)

Der Bereich der Automatisierung und künstliche Intelligenz sollte entsprechend der Anmerkungen unter 2.1 angepasst werden. Auch die Verbindung zum Bereich Informatiksysteme sollte hier entsprechend Beachtung finden.

Im Bereich Informatik, Mensch und Gesellschaft sollten die Punkte zur Benennung von Chancen und Risiken, sowie der Bewertung von Nutzen und Grenzen des Einsatzes künstlicher Intelligenz aus den oben bereits genannten Gründen gestrichen werden.
Ersetzt werden können diese beiden Punkte durch die Benennung von Chancen und Risiken, sowie der Bewertung von Nutzen und Grenzen des Einsatzes der Automatisierung. Dies scheint deutlich stärker an der Zielgruppe orientiert zu sein.

Zu 3. Lernerfolgsüberprüfung und Leistungsbewertung

Die Kriterien zur Leistungsüberprüfung im Kernlehrplan sind sachangemessen für das Gymnasium und entsprechen den in der Praxis eingesetzten Formen und Methoden. Der Beurteilungsbereich „Sonstige Leistungen im Unterricht“ umfasst in ausreichendem Maße die Formen und Methoden des Faches. Insbesondere werden auch andere als die genannten Überprüfungsformen ausdrücklich zugelassen.

Fazit

Insgesamt lässt sich sagen, dss der Kernlehrplan wichtige Grundlagen des Faches vorgibt, inhaltlich jedoch eine zu starke Breite und damit einhergend eine zu geringe Tiefe zulässt, was gerade für ein Grundverstädnis – im Sinne der exemplarischen Bildung – sehr wichtig wäre.
Auch die Komplexität ist im Bereich Inhaltsfelder mit Themen aus der KI und der Implementation (unter Benutzung des Variablenkonzeptes) nicht der Lebensrealität der Schülerinnen und Schüler angemessen.
Insbesondere die ausgeprägte algorithmische Bildung durch Implementationen mit Schleifen, Verzweigungen und Variablen sollte daher nicht bereits in den Klasse 5/6, sondern können frühestens in den Klassen 7/8 bzw. im Wahlpflichtbereich angelegt sein.
Durch den Wegfall dieser komplexeren Themen in der 5/6 würde somit mehr Raum für die konstruktiv-kritische und vertiefte Auseinandersetzung mit altersbezogenen informatischen Inhalten, wie oben beschrieben, geschaffen.

Abschließend hält es der PhV NW für fraglich, ob nicht oder nur gering qualifizierte Lehrkräfte in der Lage sein können die hier benannten Inhaltsfelder, insbesondere auch die hoch komplexen Inhaltsfelder wie z.B. maschinelles Lernen, künstliche Intelligenz, etc. so didaktisch zu reduzieren, dass ein nachhaltiger, unverfälschter Lernerfolg auf gymnasialem Niveau erfolgen kann.

Der PhV NW weist daher nochmals auf die dringende Notwendigkeit hin, gut ausgebildete und nicht nur zertifizierte Lehrkräfte in die Schulen zu bringen.

Fassung Philologen-Verband Nordrhein-Westfalen vom 12. März 2021