Stellungnahme des nordrhein-westfälischen Philologen-Verbandes zur Anhörung im Ausschuss Schule und Bildung am 02.10.2019 „Auf Schatzsuche in NRW: Unsere Schulen zu Schatzsucher- Schulen ausstatten“ Antrag der Fraktion der SPD, Drucksache 17/5628 (Neudruc
Philologen-Verband Nordrhein-Westfalen (PhV NW) befürwortet eine leistungsgerechte Beschulung aller Schülerinnen und Schüler unabhängig von soziökonomischen oder anderen Faktoren. Wir können der im Antrag vorgetragenen Eingangsthese, der starken sozioökonomischen Segregation von Schülerinnen und Schülern, allerdings nicht vorbehaltlos zustimmen. Wenn schon nicht für die gesamte Bundesrepublik Deutschland, dann doch wenigstens für das Bundesland Nordrhein-Westfalen, ist diese These zu stark vereinfachend und wird der Realität im Bildungssystem nicht angemessen gerecht.
Das vielgliedrige Schulsystem in NRW bietet unserer Meinung nach jeder Schülerin und jedem Schüler die Möglichkeit den Bildungsgang zu besuchen, der ihren und seinen Leistungen gerecht wird. Das Bildungssystem ist grundsätzlich durchlässig. Dabei spielt der sozioökonomische Hintergrund unserer Auffassung nach eine deutlich kleinere Rolle als von der antragstellenden Fraktion der SPD suggeriert wird.
Wenn die Schulen bei der Förderung der Schülerinnen und Schüler in NRW nicht immer alle Ziele erreichen, so ist das u.a. auch auf die Überfrachtung und Überforderung der Lehrkräfte mit sachfremden Aufgaben zurückzuführen.
Einer finanziellen Erhöhung zur Stärkung der individuellen Förderung von Schülerinnen und Schülern, wie im Antrag gefordert, stehen wir positiv gegenüber. Durch die bessere Ausstattung mit Ressourcen und Stellen können die Lehrerinnen und Lehrer ihrer eigentlichen Aufgabe, dem Unterrichten, wieder in größerem Umfang nachkommen.
Ebenfalls befürworten wir auch die Forderungen der antragstellenden Fraktion der SPD nach…
- …kleineren Lerngruppen.
- …mehr Lehrerfortbildungen, die auf den jeweiligen Schulstandort zugeschnitten sind.
- …Reduzierung der Unterrichtsstunden zugunsten von mehr Beratungs- und Betreuungsangeboten.
- …einer Ausweitung von Schulsozialarbeit, verstärkter Förderung multiprofessioneller Teams
- …mehr Zeit- und Personalreserven.
- …Flexibilisierung und Verbesserung von Ganztagsangeboten.
Ein Sozialindex nach dem Hamburger Vorbild kann allerdings nicht als alleiniger Faktor für die Verteilung von zusätzlichen Ressourcen dienen. Erfahrungen aus Hamburg zeigen, dass der schulscharfe Sozialindex zu keinen nennenswerten Verbesserungen an Schulen mit starker sozialer Belastung geführt hat. Im Gegenteil, es ist zu beobachten, dass sich die Situation an Schulen mit geringer sozialer Belastung durch den Abfluss von Ressourcen verschlechtert hat; die Qualität von Bildung insgesamt also abgenommen hat. Den Marker, der in Hamburg;seit über zwei Jahrzehnten zur Anwendung kommt, halten wir für kein geeignetes Instrument zu einer adäquaten Berechnung der Ressourcenverteilung. Die Ausgangslage für die schulische Förderung mag in einem vergleichsweise finanzstarken und/oder akademisch geprägten Umfeld eine andere sein als in Gegenden, die als „sozialer Brennpunkt“ gelten, ressourcenintensiv ist sie aber trotzdem.
Der PhV NW führt diese Entwicklung auf die sehr einseitig ausgewählten Faktoren und deren Variablen zurück, die für die statistische Erhebung herangezogen wurden. Materielle und soziale Faktoren sind unserer Ansicht nach nicht alleinig maßgebend für die Entwicklung von Schülerinnen und Schülern. Auch Schülerinnen und Schüler aus einkommensstarken Elternhäusern benötigen individuelle
Förderungen und Unterstützung. Der Unterstützungsbedarf mag ein anderer sein als bei Schülerinnen und Schülern aus einkommensschwachen Elternhäusern, aber ohne Zweifel besteht dieser.
Neben einer Stigmatisierung von Schulen mit stark belastetem Sozialindex befürchten wir daher auch eine Schlechterstellung von Schulen mit einem vergleichsweise weniger belasteten Sozialindex. Eine leistungsgerechte Förderung und das Ausschöpfen von Talenten aller Schülerinnen und Schüler an allen Schulformen sind dann nicht mehr möglich und folglich nicht gerecht.
Daher muss ein gerechter schulscharfer Sozialindex deutlich mehr Faktoren berücksichtigen, wenn dadurch die von der antragstellenden Fraktion der SPD geforderte Bildungsgerechtigkeit gestärkt werden soll. Zumindest muss aber eine vorangehende schulscharfe Analyse die Rahmenbedingungen für ein erfolgreiches Lernen und Lehren vor Ort erfassen.
Düsseldorf, den 25.09.2019
gez. Sabine Mistler
– Vorsitzende –