Übereilte Schulöffnung auf Kosten des Gesundheitsschutzes

Kategorien: PressemitteilungenVeröffentlicht: 23.04.2020
  • Notwendiger Infektionsschutz nicht an allen Schulen vorhanden
  • PhV NW hinterfragt Kosten-Nutzen des freiwilligen Unterrichtsangebotes für Abiturientinnen und Abiturienten an Gymnasien und Gesamtschulen
  • Großes Engagement auf Seiten der Schulen

Düsseldorf, 23.04.2020. Am ersten Tag der Schulöffnung in Nordrhein-Westfalen zeigt sich eindeutig, dass die Vorbereitungszeit nicht ausgereicht hat, um einen umfassenden und einheitlichen Infektionsschutz an allen Schulen im Land zu gewährleisten. „Die Schulleiter, die Lehrerinnen und Lehrer sowie weiteres Personal, haben seit Montag mit großem Einsatz versucht, die Voraussetzungen für eine Schulöffnung an ihren jeweiligen Gymnasien und Gesamtschulen zu realisieren. Heute zeigt sich, dass jahrzehntelange Defizite bei der Ausstattung und der kurzfristige Eröffnungstermin kaum erfüllbare Rahmenbedingungen gesetzt haben“, stellt Sabine Mistler, Vorsitzende des Philologen-Verbandes Nordrhein-Westfalen (PhV NW) klar. Die Schulen stehen enorm unter Druck und sind gefangen zwischen den Vorgaben des Ministeriums für Schule und Bildung in Nordrhein-Westfalen sowie den Schulträgern und Kommunen. „Als PhV NW ist es unser Eindruck, dass es kaum an jeder Schule in NRW möglich ist, den Lehrkräften und den Abiturientinnen und Abiturienten ein stabiles, angstfreies und produktives Lernumfeld zu bieten“, so Sabine Mistler zum nicht einheitlichen Infektionsschutz weiter.

Gesundheitsschutz zu uneinheitlich
Die vom Schulministerium vorgegebenen Maßnahmen zum Gesundheitsschutz werden sehr unterschiedlich interpretiert. An vielen Schulen findet eine Anpassung und in einigen Fällen auch Aufweichung aufgrund der örtlichen Rahmenbedingungen statt. Dazu zählen vor allem die Regelungen zur Hygiene. An vielen Schulen gibt es weder Desinfektionsmittel noch Masken. Auf Nachfrage von Schulleiterinnen und Schulleitern verweisen die Schulträger darauf, dass diese Mittel zum einheitlichen Infektionsschutz vom NRW Schulministerium auch nicht zwingend vorgeschrieben seien. Ebenfalls uneinheitlich wird die Zahl der Schüler pro Klassenraum gehandhabt. Nach ersten Recherchen des PhV NW variiert die Anzahl der Personen in einem Klassenraum zwischen 5 und 10 Personen. In einigen Schulen werden sogar Lehrerinnen und Lehrer als Reinigungskräfte eingesetzt, um Kontaktflächen nach den Vorgaben des Ministeriums desinfizieren zu können. „Offensichtlich steht den Städten und Kommunen kein ausreichendes Reinigungspersonal zur Verfügung. Aber es kann nicht sein, dass Lehrerinnen und Lehrer zusätzlich als Reinigungskraft arbeiten sollen, nur um die Vorgaben des Schulministeriums zu erfüllen“, erklärt Sabine Mistler. Der Arbeits- und Gesundheitsschutz wird vielerorts nicht ausreichend verantwortungsvoll und transparent umgesetzt. Viele Fragen bleiben unbeantwortet oder werden in den einzelnen Regionen bzw. an Schulen in NRW sehr unterschiedlich ausgelegt.

Freiwilliges Unterrichtsangebot wird sehr unterschiedlich angenommen
Das Angebot des freiwilligen Unterrichts für Abiturientinnen und Abiturienten ist nach Einschätzung des PhV NW unter diesen Rahmenbedingungen gegen den Gesundheitsschutz abzuwägen. Die Gesundheit der Lehrkräfte und Schülerinnen und Schüler wird einem deutlich erhöhten Risiko ausgesetzt. „Dieses Risiko ist bedenklich. Denn der Lehrstoff war vielerorts bereits komplett vermittelt. Es gibt an den meisten Gymnasien und Gesamtschulen in NRW keinen zwingenden Grund Lehrerinnen und Lehrer sowie Schülerinnen und Schüler jetzt schon wieder in die Klassenräume zurückzuholen“, erklärt Sabine Mistler.

Darüber hinaus ist die Wahrnehmung des freiwilligen Angebots von Seiten der Abiturientinnen und Abiturienten extrem unterschiedlich. Viele sind mit dem Lernen auf Distanz während der Schulschließungen zufrieden und konnten ihre Prüfungsvorbereitungen zielgerichtet fortsetzten. Als zentraler Störfaktor haben sich allerdings die ausufernde Diskussion über stattfindende und nicht stattfindende Prüfungen und die Sorgen und Ängste im Zusammenhang mit COVID-19 erwiesen. Unter diesen Umständen war es für viele Abiturientinnen und Abiturienten schwierig, die eigene Arbeitsmotivation weiterhin angemessen hoch zu erhalten.

Abiturvorbereitungen in den Schulen insgesamt sinnvoll
Das Angebot des freiwilligen Unterrichts für Abiturientinnen und Abiturienten ist aus Sicht des PhV NW ein grundsätzlich nachvollziehbares Anliegen. Die Öffnung bietet für die Schülerinnen und Schüler, die dieses wahrnehmen, die Chance für einen direkten, persönlichen Austausch. Der direkte Kontakt zu Mitschülerinnen und Mitschülern sowie Pädagoginnen und Pädagogen ist nicht durch das Lernen auf die Distanz zu ersetzen. Bezüglich der Organisation gibt es an den Schulen unterschiedliche Konzepte. Keine Schule ist gleich und daher müssen die Konzepte auch an die jeweiligen Raumsituationen und Personalsituationen angepasst werden. In Abhängigkeit von den für den Präsenzunterricht zur Verfügung stehenden Lehrkräften, den Räumlichkeiten und der Anzahl der teilnehmenden Abiturientinnen und Abiturienten werden ganz unterschiedliche Lösungen gefunden. Es gibt beispielsweise 90 Minuten Blöcke ohne Pausen, damit dort das Abstandsgebot nicht gefährdet wird. Es werden tageweise abwechselnd einzelne Abiturprüfungsfächer angeboten. Auch hier gibt es sehr unterschiedliche Modelle, die auf die jeweilige Situation vor Ort angepasst werden mussten.

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