Von Optimismus keine Spur: Lehrkräfte arbeiten am Limit

Kategorien: PressemitteilungenVeröffentlicht: 13.01.2025
  • Umfrage unter 3.100 Lehrern an Gymnasien und Gesamtschulen
  • Korrekturen, Bürokratie, große Klassen – zu wenig Zeit für Pädagogik
  • Große Mehrheit plädiert für genaue Erfassung der Arbeitszeit

Düsseldorf, 13. Januar 2025. Fast jede zweite Lehrkraft in Nordrhein-Westfalen hat schon einmal ernsthaft daran gedacht, ihren Beruf aufzugeben. Das zeigt eine aktuelle Umfrage des nordrhein-westfälischen Philologenverbandes (PhV NRW), an der sich rund um den Jahreswechsel 3.105 Lehrerinnen und Lehrer vornehmlich von Gymnasien und Gesamtschulen beteiligt hatten. Der PhV wollte wissen, wie es um die persönliche Zufriedenheit der Pädagoginnen und Pädagogen in ihrem Beruf bestellt ist.

Auf die Frage „Haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, den Beruf aufzugeben?“ antworteten 38 Prozent der Teilnehmenden mit Ja, 33% denken zumindest gelegentlich daran, die Brocken hinzuwerfen, nur 29% haben sich noch nie mit dem Thema beschäftigt. Die Gefahr der Abwanderung besteht nicht nur in der Theorie: Im vorigen Jahr haben nach Angaben des Schulministeriums 684 Lehrerinnen und Lehrer aller Schulformen den Schuldienst verlassen (393 Tarifbeschäftigte; 291 Beamte/Beamtinnen). 2023 haben 930 Lehrkräfte gekündigt. Die Gründe dafür werden nicht erfasst – mit ein Grund für den PhV, nach den wichtigsten Belastungsfaktoren im Lehrberuf zu fragen. Zumal auch die Krankenstände nachweislich angestiegen sind – auch an den Gymnasien, an denen die Fehlzeiten im Vergleich zu anderen Schulformen bislang deutlich geringer waren.

Fast alle Lehrkräfte arbeiten mehr als sie müssten

„Die Ergebnisse der Umfrage haben uns erschüttert“, sagt die PhV-Vorsitzende Sabine Mistler. „Man kann es nicht anders sagen: Die Stimmung an unseren Schulen ist schlecht, die Arbeitsbedingungen sind es ebenfalls, und die Liste der Probleme ist lang.“ Hierzu zählen vor allem zu viele nichtpädagogische Zusatzaufgaben, eine überbordende Bürokratie, zu große Lerngruppen und eine hohe Korrekturbelastung. In der Folge sagt fast die Hälfte der Befragten (49%), dass sie den Beruf kein zweites Mal ergreifen würde.

Einer der Hauptgründe für die schlechte Stimmung sind die entgrenzten Arbeitszeiten. Fast alle Lehrerinnen und Lehrer in NRW überziehen regelmäßig ihre Wochenarbeitszeit. Zwischen 41 und 50 Stunden arbeiten 41% der Befragten, auf mehr als 50 Stunden kommen 37%, auf mehr als 60 Stunden je Woche 12%. Nicht einmal jede zehnte verbeamtete Lehrkraft arbeitet nur die dienstrechtlich vorgesehenen Wochenarbeitszeit (9%).

Bei Lehrerinnen und Lehrern, die in Teilzeit beschäftigt sind, sieht es ähnlich aus. Die Hälfte aller Lehrkräfte in einer 75%-Stelle arbeitet regelmäßig bis zu 41 Wochenstunden, mehr als jede fünfte Lehrkraft in Teilzeit (21%) kommt auf mehr als 50 Stunden je Woche. Bei Lehrkräften mit einem Teilzeitanteil höher als 75% verschwimmen die Grenzen zur Vollzeitstelle fast ganz – lediglich 21% dieser Teilzeitlehrkräfte bleiben unter der 41-Stunden-Grenze.

Dass die Probleme mit Arbeitsbelastung und -zeiten sich in den vergangenen Jahren eher verschärft als verbessert haben, zeigt ein Vergleich mit der bundesweiten LaiW-Studie (Lehrerarbeit im Wandel), die der Deutsche Philologenverband 2020 gemeinsam mit der Krankenkasse DAK gestartet hatte. Lange Arbeitszeiten, zu viele Zusatzaufgaben und Bürokratie sind seinerzeit bereits von der Mehrheit der rund 170.000 beteiligten Lehrkräfte als Gründe für berufliche Unzufriedenheit genannt worden. „Seit der LaiW-Studie ist die Stimmung noch schlechter geworden, das zeigt unsere aktuelle Umfrage eindringlich“, sagt Sabine Mistler. „Es sind noch mehr Kolleginnen und Kollegen unzufrieden in ihrem Beruf als früher. Von Optimismus keine Spur mehr.“

Arbeitszeiterfassung: Vermessung der Realität an Schulen

Viele Lehrkräfte hoffen daher auf die Einführung einer Arbeitszeiterfassung, wie sie von der Rechtsprechung vorgesehen ist. Bislang scheitert die Umsetzung allerdings an den fehlenden bundesgesetzlichen Vorgaben. 64% der Befragten sind klar für die Erfassung, 20% sind unentschieden, 16% lehnen sie ab. Die Erwartungen an die Messung der Zeiten umfassen Vorstellungen von mehr Arbeitszeitgerechtigkeit und der Dokumentation der persönlichen Arbeitszeit. Gewünscht werden eine gerechtere Verteilung von Aufgaben und Zusatzaufgaben sowie die Reduzierung der individuellen Belastung.

Es gibt aber auch Bedenken bezüglich der Arbeitszeiterfassung seitens der Lehrkräfte. Jeweils 7% der Teilnehmenden befürchten mehr Kontrollen durch den Dienstherrn, weniger Flexibilität in der Gestaltung der pädagogischen Arbeitsabläufe oder eine unangemessene Gewichtung von Tätigkeiten. Der letzte Punkt bezieht sich auf das Thema Faktorisierung von Arbeit – der pauschalen Zuweisung von Zeitbudgets für bestimmte berufliche Tätigkeiten.

Diese Art der Zeiterfassung lehnt die große Mehrheit der Befragten ab. 58% aller Lehrerinnen und Lehrer wünschen sich stattdessen die exakte Messung der realen Ist-Arbeitszeit, zu der Unterrichtszeiten ebenso gehören wie Vorbereitungen, Korrekturen, Elterngespräche und viele weitere pädagogische und nichtpädagogische Aufgaben. Bleibt die Frage, wie dies an Schule umsetzbar ist. Bislang gibt es dazu keinerlei überzeugende Konzepte.

Aber nicht nur die entgrenzte Arbeitszeit ist ein großer Belastungsfaktor. Zu viele nichtpädagogische Zusatzaufgaben und zu große Klassen führen die Negativliste an (je 13%). Bürokratie und hohe Korrekturbelastung werden an dritter (12%) und vierter Stelle (11%) genannt. Die Heterogenität der Schülerschaft wird von jeder zehnten Lehrkraft als Belastung angesehen, ebenso die wenige Unterrichtszeit für die Vermittlung von Fachinhalten.

Viele Lehrkräfte fühlen sich nicht ernst genommen

„Viele Kolleginnen und Kollegen halten die Rahmenbedingungen auch an Gymnasien mittlerweile für so problematisch, dass sie nicht mehr glauben, Schülerinnen und Schüler angemessen auf ein Studium vorbereiten zu können“, sagt Mistler. Knapp 80% der Befragten bejahen diesen Aspekt in der Umfrage. „Das stimmt uns insgesamt sehr nachdenklich und sollte auch den politischen Parteien im Land deutlich zu denken geben. Denn auch das zeigt unsere Umfrage: In ihrer Belastungssituation ernst genommen fühlt sich von der Politik kaum noch eine Lehrkraft“, sagt Mistler.

Zur Umfrage: Die Umfrage lief in der Zeit vom 4. Dezember 2024 bis einschließlich 6. Januar 2025. Beteiligt haben sich 3.105 Lehrerinnen und Lehrer, die meisten von ihnen arbeiten an Gymnasien (86%) und Gesamtschulen (10%), an Weiterbildungskollegs sind 2% der Befragten beschäftigt, an anderen Schulformen 3%.  Die Mehrzahl der teilnehmenden Lehrerinnen und Lehrer ist zwischen 41 und 55 Jahren alt (53%), ein knappes Drittel (30%) ist bis 40 Jahre alt, 16% sind älter als 55 Jahre.

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