Lehrkräfte und KI in NRW: Aus Neugier wird Kompetenz
Innerhalb eines Jahres hat sich die Haltung vieler Lehrerinnen und Lehrer gegenüber künstlicher Intelligenz (KI) spürbar verändert. Das zeigt eine aktuelle Umfrage des nordrhein-westfälischen Philologenverbandes (PhV NRW), an der sich in der Zeit zwischen 1. und 31. Oktober 2025 mehr als 1.500 Lehrkräfte vornehmlich von Gymnasien und Gesamtschulen beteiligt hatten. Der PhV ist der einzige Berufsverband für Lehrkräfte, der seine Mitglieder regelmäßig zu deren Einstellungen gegenüber generativen KI-Systemen, zum Nutzungsverhalten, aber auch zu möglichen Sorgen und Vorbehalten befragt.
Während 2024 noch eher Unsicherheit und Skepsis dominierten, ist 2025 eine deutlich größere Offenheit und mehr Praxiserfahrung erkennbar. „Unsere neue Umfrage zeichnet ein Bild von Lehrkräften, die sich aktiv auf die digitalen Herausforderungen einlassen“, sagt die PhV-Vorsitzende Sabine Mistler. „Klar ist auch, dass unsere Kolleginnen und Kollegen weiterhin verlässliche Strukturen und gezielte Unterstützung benötigen.“
Vom organisatorischen zum didaktischen Werkzeug
2024 gaben viele Lehrkräfte an, ChatGPT & Co. zu kennen, sich jedoch unsicher im Umgang zu fühlen. Die Bedeutung von KI und ihr Nutzen für den Unterricht war häufig unklar. Laut der aktuellen Umfrage bezeichnen sich insgesamt 82% der Lehrkräfte als mit dem Thema vertraut (etwas vertraut: 56 %; sehr vertraut: 26%). „Damit scheint die Phase der ersten Annäherung überwunden zu sein. Viele Kolleginnen und Kollegen haben begonnen, KI-Tools gezielt zu erproben und in ihre Unterrichtspraxis zu integrieren“, sagt Mistler.
Besonders bemerkenswert ist der Zuwachs im täglichen Umgang: Bereits 63% der Lehrkräfte nutzen KI-gestützte Anwendungen gelegentlich (48%) oder sogar regelmäßig (15%) im Unterricht. Bei der ersten Befragung im Jahr 2023 war der Anteil der aktiven Nutzerinnen und Nutzer noch deutlich geringer: 45 Prozent der Befragten gaben seinerzeit an, erst Erfahrungen sammeln zu wollen, gut ein Drittel (33%) lehnte die Nutzung grundsätzlich ab. Der Anteil der Lehrkräfte, die KI-Systemen generell die kalte Schulter zeigt, ist seitdem auf mittlerweile nur noch 17 Prozent gesunken. „Generative KI ist im Schulalltag angekommen – nicht nur bei Schülerinnen und Schülern, und nicht nur als Experiment, sondern zunehmend als Werkzeug zur Unterstützung pädagogischer Prozesse“, folgert Sabine Mistler.
Meist setzen Lehrkräfte KI-Systeme zur Unterrichtsvorbereitung als Recherchewerkzeug (43%) oder als Chatpartner (42%) ein, seltener als Übersetzungshilfe (24%) oder als adaptive Lernsoftware (11%). Lediglich sechs Prozent der Befragten nutzen künstliche Intelligenz für Korrekturen. Am häufigsten verwenden Lehrerinnen und Lehrer ChatGPT (90%) oder die KI-Tools von Fobizz (53%). Gerade einmal 68 Personen, also knapp 5%, gaben an, eigene Chatbots für schulische Aufgaben zu verwenden.
Fortbildungen stehen ganz oben auf dem Wunschzettel
Trotz zunehmender Nutzung und Akzeptanz besteht nach wie vor ein großer Bedarf an Unterstützung. Das zeigt sich deutlich in der Frage nach der zukünftigen Bedeutung von KI in der Lehrerausbildung: 83% der Befragten halten es für „sehr wichtig“ (51%) oder „eher wichtig“ (32%), künstliche Intelligenz systematisch in die Ausbildung zu integrieren. Genau ein Viertel der Befragten fordert entsprechende Fortbildungen für ihr Kollegium. 58% aller befragten Lehrerinnen und Lehrer haben bislang mindestens eine Fortbildung zu KI-Systemen besucht.
Der landeseigene Handlungsleitfaden („Umgang mit textgenerierenden KI-Systemen“) scheint im Arbeitsalltag von Lehrkräften allerdings nur eine untergeordnete Rolle zu spielen. 49% der Befragten gibt an, ihn nicht zu kennen, 21% finden ihn „weniger“, 18% immer noch „etwas“ hilfreich.
Bei den Themen Aus- und Fortbildung sind allerdings Augenmaß gefragt. Mutig vorangehen sollten Schulen in Sachen KI nur für jede(n) Dritte(n), 62% sind hingegen der Ansicht, Schulen sollten KI kritisch hinterfragen und vorsichtig einsetzen. „Damit hat sich die Position, die der Philologenverband bereits 2024 vertreten hat, im Kollegium verfestigt: KI darf kein Randthema bleiben, sondern muss als feste Komponente schulischer Bildungspolitik etabliert werden“, sagt Sabine Mistler.
Trotz zunehmender Nutzung zeigt die Umfrage aber auch deutlich: Die Bedenken gegenüber KI im Unterricht sind differenzierter geworden, jedoch keineswegs verschwunden. Als größte Herausforderung sehen die Befragten intransparente Eigenleistung von Schülerinnen und Schülern (93%), also mit anderen Worten die Frage: Wer hat’s gemacht, der Chatbot oder die Schülerin/der Schüler? Ein Problem, das auch bei der Umfrage aus dem Jahr 2024 so gesehen worden ist. Unzuverlässige Ergebnisse (73%) machen den Befragten ebenso Sorgen wie Fragen nach Datenschutz (55%). Mehr als jede dritte Lehrkraft (36%) hadert mit der technischen Ausstattung ihrer Schule.
Herausforderungen bleiben: Verlässlichkeit und Eigenleistung
Bei einer Frage hatten die Teilnehmenden die Möglichkeit, per Freitext ihre Gedanken zu KI in Schule und Unterricht zu formulieren. Die Antworten zeigen klar, dass die Verwendung von ChatGPT & Co., zwar längst Alltag ist, dass sie aber sehr wohl Auswirkungen auf das Leistungsverhalten, Eigenleistungen und geistige Fähigkeiten der Schülerinnen und Schüler haben. Die folgenden sechs Punkte bündeln die mit großem Abstand am häufigsten genannten Beobachtungen, die sich aus Sicht der Lehrkräfte vor allem für Schülerinnen und Schüler ergeben:
- Starker Rückgang der Eigenleistung bei Hausaufgaben, Projekten usw.
- Verschlechterung der kognitiven Fähigkeiten
- Fehlendes Fehlerbewusstsein gegenüber KI-Inhalten/-Ergebnissen
- Leistungsbereitschaft sinkt rapide
- Leistungsstarke Schülerinnen und Schüler profitieren, leistungsschwache sinken weiter ab
- Eigenleistungen im Vergleich zu KI-Inhalten werden wahrgenommen
„Unsere Kolleginnen und Kollegen haben die Herausforderungen im Umgang mit KI angenommen und in praktische Handlungskompetenz übersetzt“, resümiert Sabine Mistler. „Aus anfänglicher Skepsis ist ein reflektiertes, zunehmend souveränes Handeln geworden. Wir brauchen jedoch nicht nur Engagement, sondern verbindliche Fortbildungsstrukturen, klare Leitlinien, zeitliche Ressourcen und eine Ausstattung, die uns den professionellen Einsatz ermöglicht.“
Die Pressemitteilung des PhV wurde am Mittwoch, 12. November 2025, im Onlineportal Bildungsklick veröffentlicht.